Hit the Road, Buchhalter (5)

(Hit the road, Buchhalter! (5))

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Wir standen auf der Rue La Fayette in Richtung Poissonnière in der Rush Hour und nichts ging mehr. Seit zehn Minuten ging es keinen Meter mehr vorwärts mit dem Kadett. Der Buchhalter überbrückte die Zeit damit, seine Fähigkeiten im Bau perfekter Joints zu verbessern. Ich beobachtete ihn dabei, wie er gerade den Winkel zwei zueinander stehender Zigarettenblättchen maß, indem er sie auf der Zeitungsunterlage an den Überschriften ausrichtete. Im Radio lief das übliche Gequatsche, denn die Franzosen hatten immer schon eine Vorliebe dafür, statt Musik endlose Debatten zu funken. Einer von ihnen sagte, alle Galerien sollten rund um die Uhr verfügbar sein. Er bekomme immer nachts Lust auf Kultur, weil das in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Libido stehe. Das leuchtete mir ein. „Wenn wir morgen nach Hause kommen, müssen wir die Katze füttern“, sagte der Buchhalter. Der Regen, der seit einer guten Stunde eingesetzt hatte, plätscherte aufs Autodach und gab dem ganzen eine zusätzliche Note gelangweilten Wartens auf überhaupt nichts. Eigentlich waren wir zurück auf dem Weg ins Hotel, um in die Metro umzusteigen. Den Nachmittag hatten wir in La Valette verbracht, dem damals neu eröffneten Park der Wissenschaften und nach so viel intellektueller Zerstreuung war uns danach, irgendwo abzuhängen und das Leben an uns vorbeiziehen zu lassen. Das machten wir ausgesprochen gerne.

Der Buchhalter hatte das Ding endlich rauchfertig und präsentierte sein Produkt mit einigem Stolz und ich musste zugeben, dass sich seine Fähigkeiten in der Roll- und Drehkunst inzwischen sehen lassen konnten. Es sah nicht so aus, als ob wir hier demnächst wegkamen. „Ich finde, wir sollten die Zeit im Stau kreativ gestalten“, sagte ich. Der erste Zug war immer was besonderes und der Buchhalter überließ ihn mir, weil er spürte, dass meine Nerven inzwischen blank lagen. Ich nahm einen tiefen ersten Zug, der mich augenblicklich in höchste Euphorie versetzte, weil ich an den letzten gemeinsamen Abend in Paris dachte, aber gleichzeitig realisierte, dass uns die verbleibende Zeit wie brennendes Wachs zerfloss, als ob uns jemand daran hindern wollte. Es musste jetzt einfach was geschehen!

Augenblicklich euphorisiert, reichte ich das Ding rüber und demonstrierte sofortige Entschlossenheit, der Langeweile ein Ende zu setzen. Die kleine Gasse links gegenüber war eine Einbahnstraße, aber es war nunmal ’ne Abkürzung. Und das wäre nun wahrlich nicht das erste Mal, dass hier jemand Verkehrsregeln bricht, dachte ich. Außerdem muss man hier eben jederzeit mit allem rechnen! Ich setzte kurz zurück, riss das Lenkrad nach links und blies über den durchgezogenen Mittelstreifen nach links zur Gasse rüber. Nun, womit wir selbst nicht rechneten, war der unmittelbar darauf folgende, ohrenbetäubende und fürchterlich heftige Knall. Trotz der drogentechnisch unbeeinflussten Reaktion, augenblicklich nach rechts zu springen, sah ich aus dem Augenwinkel noch, wie etwas sagenhaft Schnelles links von uns abprallte und dann war es auch schon vorbei. Nur der Radiomann erzählte noch was. Ich starrte den Buchhalter entgeistert an, als ob sein Joint dran schuld gewesen wäre, während der Buchhalter mich anschaute, als ob er überrascht davon wäre, dass das Gras dermaßen knallt. Es dauerte einige Sekunden, bis wir begriffen hatten.

Genau in dem Augenblick, indem ich nach links einschlug und Gas gab, um die Straße trotz Gegenverkehr zu überqueren, versuchte ein Motorradfahrer uns zu überholen und das war einfach nicht kompatibel zueinander. Der Motorradfahrer rutschte über den Asphalt, immer seiner Maschine nach, und blieb kurz reglos liegen, stand aber wie unter Schock sofort wieder auf, hob das Bike auf und klopfte sich erstmal die Klamotten sauber. Ich stieg aus und betrachtete mir den Schaden. Eine Beule im Ausmaß eines Granatentrichters drückte die Fahrertür nach innen. Trotzdem ging sie ohne weiteres auf. Sogar der Gegenverkehr hielt kurz an, was in Paris wirklich was bedeutet. Ich ging rüber und half dem armen Schwein, das Motorrad abzustellen. „Hier ist links rum verboten“, schrie er mich an, worauf ich ihn fragte, ob Überholen im Gegenverkehr hier erlaubt sei. Wir sahen uns den Schaden an und dann rüber zum Kadett, wo der Buchhalter damit beschäftigt war, den weggeflogenen Joint zu suchen. „Das ist ’ne alte Schüssel“, sagte ich. „Wir kommen drüber weg. Und du?“. Er trat den Kickstarter vier, fünf mal mit ordentlich Schmackes und die Kiste tuckerte wieder. Nur der Auspuff sah ramponiert aus. Das Knie schien ihm weh zu tun. Aber er stieg trotzdem auf, als ob er es sehr eilig hatte, hob die Hand zum Gruß und sah zu, dass er wegkam.

Ich sah ihm nach, kehrte zurück zu unserer Badewanne, stieg ein und testete die Fensterscheibe, indem ich sie langsam runter- und wieder hoch kurbelte. Schien zu halten. „Lass uns hier abhauen“, schlug ich vor. Dann steuerte ich den Wagen den geplanten Weg entgegen der Fahrtrichtung in die Gasse rein, weil es sich in diesem Moment einfach richtig anfühlte. Umso mehr, als ich den Polizisten an der Ecke entdeckte, der sich den kompletten Stunt offensichtlich in aller Ruhe betrachtet hatte. Da wir uns auf ein Unentschieden geeinigt hatten, schien es ihm egal zu sein. Dass es kurzfristig nach Totalschaden aussah, schien ihn auch nicht zu interessieren. Diese professionelle Einstellung gefiel mir außerordentlich, was meine Laune trotz des Crashs merklich aufhellte, aber auch, weil das Gras wirklich verdammt gut war. „Gleich morgen früh müssen wir die Katze füttern“, wiederholte der Buchhalter.
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