Und jetzt alle!

Bild: Didi01/pixelio.de

Freitagabend war immer Beachparty. Ich hasste es. Seit drei Monaten arbeitete ich als DJ in dem Laden und jeden Freitag die gleiche Nummer. Sie schaufelten Sand auf die Fliesen, stellten ein paar dieser Klapp-Liegestühle und Palmen aus Plaste auf. Die Crew hatte Hawaiihemden an und kurze Hosen, sie trugen Sonnenbrillen und Basthütchen, die Cocktails gab es zum halben Preis und ich war in meiner Kabine der Einzige, der sich nicht über das Outfit zum Affen machen musste, aber die Show widerte mich trotzdem an, denn ich war ein wesentliches Rad im Getriebe der großen Umsatzmaschine. Von meinem Ausguck aus konnte ich die Szenen, in denen sich ganze Gruppen von jungen Girls in sexy Shorts Mojitos bestellten, wunderbar beobachten. Sie hatten Ausgang, sie waren blutjung, und sie genossen das große, aufregende, lächerlich künstliche Strandleben, das sie fürs Erwachsensein hielten.

Die Jungs an der Theke flirteten mit ihnen um die Wette, holten mit Schwung die Rumflaschen aus den Regalen und gaben den Girls das Feeling, der absolute Mittelpunkt der Welt zu sein. All das gehörte zu den Ordern des Chefs, der den Laden leitete. Er wusste, dass er mit ein paar Muskelmännern in Hawaiihemden, die selbst so künstlich wie die Plastikpalmen wirkten, die Girls dazu verführen konnte, ihr Taschengeld zu verprassen. Und sie hatten ihren Spaß, je besoffener sie wurden. Ich war dazu verdonnert, den Soundtrack dazu zu liefern, wenn ich nach drei bis vier Titeln irgendeine belanglose, völlig sinnlose Ansage durchs Mikro vom Stapel ließ – Hauptsache, die Zauberwörter kamen drin vor. Es gab keinen Vertrag, aber wenn es einen gegeben hätte, wäre eine Klausel drin gewesen, die mich pro Stunde vier Mal dazu verpflichtet hätte, die Zauberwörter zu nennen. Als ich drei Monate zuvor in den Laden reingekommen war, sagte der große Chef zu mir: Es kommt weniger drauf an, welche Platten du auswählst, dafür bist Du der Experte, Du wirst das schon machen. Aber sieh zu, dass du das Publikum am Saufen hältst. Hier ist Spaß, hier ist gute Laune, alles ist geil und wir sind die Geilsten. Alles klar?

Ich nickte vielsagend, wusste aber nicht wirklich, was er damit meinte. Nun, nach monatelangen Beachparties, war mir die Sache klar. Die Herausforderung bestand darin, drei bis vier passende Scheiben aufzulegen, sich einen Knaller für nach der Ansage zu reservieren und sich dann dazu zu überwinden, wie ein routinierter Marktschreier sowas Hirnverbranntes wie "und jetzt nochmal Ohren auf für den Sommerhit des Jahres, nur hier im Club, nur freitags, nur bei uns am Strand, viel Spaß, gute Laune für Euch, Ihr seid die Geilsten und los geht's…" rauszuhauen. Aber das war nun mal genau das, was die Schwachsinnigen hier brauchten und vor allem war es verdammt noch mal genau das, was man von mir forderte. Man verdiente nicht schlecht damit, die Meute am Saufen zu halten. Nach jeder Nacht im Namen des heiligen Umsatzes hatte ich zweihundert Öcken in der Hand und wenn es besonders gut lief, ließ der Boss noch einen Hunderter hinzu wachsen. Also sorgte ich dafür, dass es gut lief.

Während des großen, sinnfreien Feierns gab es Gewinnspiele, an die ich permanent wiederholend erinnerte, indem ich sie mit den Zauberwörtern kombinierte. Meist war der Hauptpreis eine mit Werbe- und Verkaufsshows gespickte Türkeireise, die sich bei klarem Verstand niemand freiwillig antun würde und die der Boss umsonst bekam, weil er quasi Werbung für eine Werbereise machte. Eine Win-Win-Situation. Jeder, der dran teilnahm, kaufte sich an der Theke ein Los in Form eines verzuckerten, klebrigen Obstlikörs, es war die Ölpest der Destilleriekunst. Am Boden der Partyfläschchen war eine Nummer eingeprägt und irgendwer hatte die Richtige in der Tasche. Aber damit nicht genug. Es gab keine Nieten. Wer am Ende bei der Verlosung leer ausging, konnte sich mit seinem leeren Zuckersaft einen weiteren abholen und so war der ganze Schuppen permanent am Schlucken, denn kein Gewinnspiel vor Mitternacht.

Wenn der Laden krachend voll war, kamen wie auf Kommando einige gut aussehende Jungs auf die Tanzfläche, die sich unter die Girls mischten. Der Boss wusste, dass unter den pubertären Schülern und jungen Männern kaum einer war, der sich traute zu tanzen, also heuerte er welche von seinen eigenen Schergen an, um die Tanzfläche anzukochen. Es waren keine Profis, aber sie machten es gut, soweit ich es beobachtete. Vor und nach ihrem Einsatz halfen sie hinter den Kulissen mit anderen Arbeiten aus. Einer der besten Tänzer war der gut aussehende Libanese, der eigentlich die tiefgefrorenen Pizzen in der Küche aufwärmte. Die Action machte die Girls locker und mit ihnen auch ihre Moneten. Falls sich jemand nur an Cola festhielt, ließen die Barkeeper eine Ölpest in Flaschen springen. Und wenn das nicht half, gleich noch eine. Das Zeugs machte mehr Durst als alles andere, was wiederum weiteren Umsatz garantierte.

Zu jeder vollen Stunde gab es irgendwas anderes Alkoholisches im Sonderangebot. Spätestens Punkt Zwölf, wenn alle von mir erwarteten, dass ich Marianne Rosenbergs "Er gehört zu mir" aufdrehte, waren alle besoffen. Der Rest war ein Kinderspiel. Der Umsatz vervielfachte sich und ich konnte quasi auflegen, was ich wollte, Hauptsache es wummerte. Das war meist die Zeit, in der sich eins von den Girls an mich ran wanzte. Oft kamen sie zu zweit in meine Kabine. Es war eine Art Trophäe für die Mädchen, wenn sie beim DJ stehen durften und von oben auf die Tanzfläche schauten. Sie erhofften sich Bewunderung von ihren Freundinnen, wenn sie bei mir bleiben durften und wenn ich Ihnen das Gefühl gab, dass sie auch nur einen Song selbst ausgewählt hatten, hatte ich sie an der Leine. Es wäre ein leichtes Spiel gewesen, sie nach dem Job gemeinsam mit den dreihundert Öcken einzupacken, aber es interessierte mich nicht, denn sie hatten nichts zu bieten, außer albernem Zeugs. Außerdem war mein Vorgänger aus dem Job geflogen, weil er es eben doch getan hatte. Dem Kommissar erzählte er, es nicht gewusst zu haben, wie jung sie wirklich waren. Ob es ihm half, hab' ich nie erfahren.

Die ganze Angelegenheit wuchs sich zu einer Melange von unangenehmen Begleiterscheinungen aus. Als DJ war man in dieser Maschinerie mehr Anheizer als Plattenaufleger und alles, was zählte, waren die Umsätze. Eines Morgens um drei nach dem Aufräumen, alles war schon still und als einer der Letzten war ich kurz vorm Gehen, hämmerte es an die schon geschlossene Eingangstür zur Strandbar und die Eltern einer Sechzehnjährigen polterten herein, nachdem ihre Tochter in einer Klinik zur Ausnüchterung gelandet war. Nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass sie am Tag danach nur mit einem Riesenkater aufwachen würde, kamen sie auf dem Rückweg vorbei, um uns die Leviten zu lesen. Es wurde laut hinter der nur angelehnten Tür des Büros und ich konnte hören, wie es um Vorwürfe, Klage und Drohung ging. Der Boss tat das, was er am besten konnte und was nach seiner Erfahrung am besten funktionierte. Er bot ihnen Geld an. Da ich meins für die Nacht schon hatte, beschloss ich, mir in der nächsten Woche was anderes zu suchen. Es war an der Zeit. Während die Schreierei weiter tobte, zog ich meinen Mantel über, trat hinter die Theke und suchte mir den teuersten Whisky aus, der verfügbar war. Ich zog den Korken, nahm einen ordentlichen Schluck aus der Flasche und stellte sie auf dem Tresen ab. Dann verließ ich den Strand für immer.

 

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Gelesen am 11.09.17 im Café Cralle am Lesetresen, Text 2

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