Das Heintje Trauma

Die etwas Älteren unter Euch werden ihn noch kennen, den lieblich blonden, singenden Kinderstar, den feuchten Traum aller Omis und die erste Geldmaschine von RTL; Heintje! Während auch meine Omi sich vor Rührung kaum beherrschen konnte, wurde der Herz und Schmerz schmetternde Nervkeks zu meinem tragischen Kinderschicksal. Nicht nur, dass er ständig im Fernsehen war. Auch das Radio spielte ihn immerzu und das lag nicht daran, dass er besonders gut war. Er löste mit seiner kindlich hellen Stimme und seiner hellblonden Erscheinung irgendwas Unwiderstehliches in der vom Krieg geplagten Generation aus. Irgendwas Heilbringendes, Sehnsuchtvolles, Friedvolles, auf jeden Fall aber etwas makellos Perfektes, nachdem sie sich alle sehnten. Dieser Junge drückte vor allem eins aus: Ich danke dir für dieses schöne Leben und auch wenn ich wahnsinnig naiv daher komme, ignoriere das einfach! Träume mit mir und Ach, meine Heimat, das Geschenk des Lebens und meine herzensgute Familie, die werde ich immer lieben! Das kam einfach an. Ich meine, man muss sich nur mal die Fernseh-Interviews aus den 60ern ansehen und man ahnt, das die große Verdrängung das Hauptbedürfnis war. Und mein persönliches Schicksal war es, diesem Schnulzen trällernden Fratz so ähnlich zu sehen, dass ich mit meinen hellblonden Locken glatt als sein Doppelgänger durch ging.

Anfangs war mir das gar nicht bewusst. Aber wenn ich mit meiner gleichfalls glockenhellen Stimme anfing, den ganzen Schmonz aus dem Radio nachzusingen, erzielte ich erstaunliche Erfolge. Nicht dass es für irgendwelche „look-alike“ Talentwettbewerbe reichte, aber das lag vielleicht nur daran, dass es die damals noch nicht gab. Bei DSDS wäre ich mit dieser Nummer jedenfalls nicht in Runde Eins rausgeflogen. Ich lernte also „Mama“ und „Ich sing ein Lied für Dich“ und „Oma so lieb“ auswendig und war der Mittelpunkt jeder Familienfeier, was mir eine Menge Schokolade und manches 2-Mark-Stück extra einbrachte. Jedenfalls; eines Tages war ich mit dem dicken Armin auf dem Messegelände und da gab es diesen Stand vom saarländischen Rundfunk. Die drehten, was ich damals natürlich nicht wusste, für RTL die ganzen Schmonzetten ab. Wir konnten uns an den Moderationstisch setzen und uns als Nachrichtensprecher ablichten lassen. Es gab aber auch dieses Mikro auf der Bühne und nur so zum Spaß, weil mir auch grad sonst überhaupt nichts einfiel, schmetterte ich „Maaaamaaa, du musst doch nicht um deinen Juuuungen weinen“ in den Saal und dann kam plötzlich jemand um die Ecke, sprach mich an und zwei Wochen später fuhr ich einen ganzen langen und kalten Frühlingstag lang mit der Parkeisenbahn durch unsere Gartenschau.

Ich sah diesem blonden Fratz aus Radio und Fernsehen dermaßen ähnlich, dass sie mich als Double engagierten. Der absolute Heintje Smash Hit „Ich bau dir ein Schloss“ sollte als Musikvideo abgedreht werden und meine Aufgabe war es, gemeinsam mit einem ebenfalls sehr kleinen blonden Mädchen, in einem Waggon der Parkeisenbahn als Platzhalter für den großen Kinderstar durch den Park zu gondeln. Anfangs fand ich es noch ganz okay, wegen der Gratisfahrt und den ganzen Spaziergängern, die uns anglotzten. Einmal rief uns eine entgeisterte Mutti sogar freudig „Heintje“ zu, aber dann fing es an zu nerven. Die Aufnahmen dauerten den ganzen Tag über und ich fuhr mit dem kleinen blonden Mädchen, das ich auch noch strunzdoof fand, stundenlang rund um den Park. Jede Runde dauerte ’ne halbe Stunde und ständig musste diese oder jede Szene neu gedreht werden und ich musste immer solche Sachen wie „Ich bau dir ein Schloooooooossss, so wie im Määääääärchen, bald bin ich schon groooß, dann ziiiiehn wir ein“ singen – und das alles nur, weil diese singende Rotzgöre einen so vollen Terminkalender hatte, dass das alles schon vorher abgedreht wurde. Diese ganzen Kamerafahrten, wie die Bahn immer wieder herumkreiste, diese Blumen und das Gras, der Teich und überhaupt diese ganzen romantischen Bilder – das alles hatte Heintje nur mir und meiner Geduld zu verdanken! Und ich traf meinen Doppelgänger nicht mal!

Am nächsten Tag dann, da saß ich längst wieder neben dem dicken Armin in unserer Schulbank, da wurden alle Szenen nachgedreht, in denen man den süßen blonden Heintje sehen sollte. Sogar das strunzdoofe Mädchen wurde ausgetauscht. Und so dauerte der ganze Dreh für den holländischen Kinderstar keine Stunde, während ich den ganzen Tag im Kreis herum gurken musste. Naja. Heute bin ich drüber weg, aber es war ein hartes Stück Arbeit, Freunde!

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