Wieder was gelernt

Bild: Bayrischer Rundfunk

Wir hatten einen guten Trainer. Fußball machte Spaß, weil er es war, der mit uns übte. Er hatte ein besonderes Talent darin, jeden von uns einzeln zu motivieren. Wenn mir was gut gelang, rief er ins Trainingsspiel rein "sehr gut", "jawohl, du kannst das", "prima gemacht" und ähnliches. Sonntags beim Punktspiel hielt er sich eher zurück, denn er wusste, dass er damit mehr falsch als richtig machen konnte. Nach den Ligaspielen und nach den Trainingseinheiten gingen alle immer noch ins Vereinsheim, wo wir Jungs, alle so im Alter 15 bis 16, immer nur Limo und Cola trinken durften. Aber wenn es was zu feiern gab – und es gab oft was zu feiern – dann gab es für alle den riesigen Bierstiefel, der durch unsere Reihen ging. Wir liebten den Stiefel, denn alle wussten, wenn man einen kräftigen Schluck Bier daraus nahm, stellte sich augenblicklich ein Gefühl der Selbstzufriedenheit ein. Jeder von uns nahm sich mit einem kräftigen Schluck was er kriegen konnte und reichte den Stiefel weiter. Der Stiefel hatte seine Tücken. Wenn das Gesöff nach einigen Umläufen nach unten sank und man nicht aufpasste, zog das Glas beim Leeren im Knick des Stiefels Luft und beim Zurücksetzen des Glases kam einem die Brühe entgegen. Hin und wieder fiel dann ein lauer Witz, der weder Substanz hatte, noch lustig war. Das waren dann aber auch die einzigen Aufreger. Das und Hector, der immer mit Herbert dem Pantomimen, an die Bar kam, um jeden Abend genau ein einziges Bier zu leeren. Die beiden gehörten zum Inventar. Herbert, der Pantomime, der Pantomime hieß, weil er nie ein Wort sprach und Hector, sein treuer Gefährte. Kein Abend war uns ohne dieses Gespann vorstellbar. Punkt Sieben betraten sie den Raum und dann begann die Show.

Das besondere an Hector war, dass er ein typisch suchtbetontes Trinkverhalten hatte. Herbert der Pantomime, der so hieß, weil er nie etwas sagte, kroch auf den Barhocker und Hector sah mit seinen Knopfaugen nach oben und beobachtete den Vorgang stets aufs Genaueste, der sich auf der Theke abspielte. Sobald sich Herbert mit dem typischen Bestellzeichen, zwei zu einem "V" geformten, erhobenen Fingern, zwei Flaschen Bier bestellt hatte, wurde Hector unruhig. Er hob den Hintern leicht an, blieb in dieser halb gebückten, halb gehockten Haltung stehen und schlug mit dem Schwanz aus Vorfreude fast den leeren Hocker daneben um. Herbert, der Pantomime, nahm die geöffneten Flaschen und stellte eine sorgfältig vor sich und die andere in Höhe der Fellnase ab. Dann wischte er beide Flaschen mit seinen Hemdsärmeln komplett trocken und befreite die kühlen Flaschen so von den Wassertropfen, damit sie ihm beim Ansetzen nicht aus den Flossen rutschten. Danach drehte er beide Flaschen so, dass die Etiketten exakt in Richtung der Barhocker zeigten. Erst wenn all das erledigt war, nahm er seine Flasche, setzte sie an und leerte den kompletten Inhalt in einem einzigen Zug, ohne die Flasche auch nur einmal wieder abzusetzen. Wenn er damit fertig war, stellte er das Bier genau so sorgfältig zurück, wie er es zuvor aufgenommen hatte. All das sah Hector und folgte den Bewegungen von Herbert, dem Pantomimen, ohne die Flaschen aus den Augen zu lassen. Jetzt, nachdem Herberts Bier zurück auf der Theke war, da wusste er, dass seine Zeit gekommen war. Er richtete sich zu voller Größe auf, stützte sich mit den Vorderpfoten auf dem Hocker des Pantomimen ab und reckte die Schnauze nach oben. Herbert blieb auf dem Hocker sitzen, nahm das zweite Bier und führte es behutsam zum Maul seines Freundes, wobei er den Unterkiefer des Schäferhundes mit einer Hand festhielt und das Bier mit der zweiten in die längliche Schnauze einführte. Dann lief es. Und lief. Und lief. Als die Flasche zu Ende war, setzte er sie Hector ab und auf die Theke zurück, immer noch aufs genaueste Richtung Publikum platziert. Hector schmatzte noch zehn bis zwölf mal genüsslich nach. Dann entspannte er sich, immer noch die Schnauze leckend und machte sich vor dem Tresen breit, legte den Kopf auf die Pfoten, äugte uns an und schnaufte zufrieden durch.

Wenn Herbert, der Pantomime, sein zweites Bier bestellte, schaute das Tier nicht mal mehr nach oben. Es hatte seinen Teil und war damit zufrieden. „Schaut Euch Hector an“, sagte unser Trainer und deutete auf den zufrieden dahin dösenden Vierbeiner, „lasst Euch das ein Beispiel sein. Wenn ihr euch immer nur mit dem zufrieden gibt, was andere für euch tun, dann werdet ihr nie zu den besten Fußballern gehören!“, sagte er selbstzufrieden. Ich schaute Hector in die Augen. Ihm ging es wie uns und unserem Stiefel, was sollte daran verkehrt sein? Der Hund schien vor Zufriedenheit zu grunzen und sah jeden einzelnen Abend von Neuem so aus, als sei das der schönste Tag seines Lebens. Der Trainer hatte zweifellos seine Stärken, aber mir wurde klar, dass er mit dieser Theorie komplett falsch lag. Wenn ich heute an Hector zurückdenke, dann in Bewunderung für seine Bescheidenheit, nie mehr zu fordern, als das Leben ihm ohnehin schenkte.

 

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Gelesen am 18.09. im Café Cralle.

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