Vom Glück

Prolog: (aus Wikipedia: Definition Glück). Glück haben im Zufalls-Sinn bedeutet, entweder schicksalhaft oder durch ein unvorhersehbares Ereignis begünstigt zu sein. Beispiele umfassen den Gewinn beim Lotto, Roulette oder einem sonstigen Glücksspiel; auch durch Zufall einen Nachteil zu vermeiden, gehört hierzu. Voraussetzung dafür auf Seiten des Beglückten sind weder ein bestimmtes Talent noch auch nur eigenes Zutun. Dagegen behauptet der Volksmund eine mindestens teilweise Verantwortung des Einzelnen für die Erlangung von Lebensglück in dem Ausspruch: Jeder ist seines Glückes Schmied. Demnach hinge die Fähigkeit, in einer gegebenen Situation glücklich zu sein, außer von äußeren Umständen auch von Einstellungen und Bemühungen ab.

Ich habe bis heute nicht verstanden, warum Glück immerzu in monetären Dimensionen gemessen wird. Selbst Wikipedia fällt drauf rein, dass man im Lotto oder Roulette gewinnen könnte. Glück hat hingegen mit Reichtum ungefähr so viel zu tun, wie Zufriedenheit mit Jahreszeit. Klar hilft Geld enorm, eine freie Entscheidung zu treffen. Aber auch gänzlich ohne Geld kann man Glück empfinden. Und in „Jeder ist seines Glückes Schmied“ steckt ebenso viel Falsches wie Wahres drin. Im Südsudan geboren zu sein, Bürgerkrieg und Hunger zu erleiden und in einem anderen Land leben zu wollen, ist keine freie Entscheidung. Aber ich kann schon was dafür, in meinem Garten am Sonntag auf der Liege zu liegen und mich trotzdem ständig woanders hin zu wünschen. Die Einstellung und Bemühung, die Wikipedia meint, kann ich eigentlich nur so verstehen, dass ich mir meines Glücks bewusst bin. Zurück zum Zufall.

Erstens. In den 90ern, als das Internet gerade laufen lernte, warf ich jede Nacht das 14.4er Modem an und brauchte ungefähr zehn Minuten, bis ich online war. Dann suchte ich mit dem Browser von AOL zufällig Internetseiten, weil es einfach noch kein Verzeichnis oder gar eine Suchmaschine gab. Das bisschen, was einem AOL bot, war einfach zu wenig. Also dachte ich mir Namen aus, wie beispielsweise „www.vereinssuche.de“ oder „www.automarken.de“ oder „www.naked.com“ und war richtig happy, wenn es was zu entdecken gab. Aber meistens gab es meine Ziele überhaupt nicht und das Erste was mir dazu einfiel, war: Ich registriere die einfach selbst. Es kostete ja auch nichts. Ich hätte beispielsweise wohnungen-punkt-de, camping-punkt-de oder sexybodies-punkt-com haben können oder von mir aus auch auto-punkt-de und ich hätte dafür nichts zahlen müssen. Zehn Jahre später wäre ich damit Millionär geworden. Aber ich erinnere mich auch daran, dass ich dachte: Mit meinen spärlichen html-Kenntnissen füllst du diese Seiten erst gar nicht und dann kommt irgendwann Mercedes oder Beate Uhse und verklagt dich. Naja, und das war mir dann auch zu viel Mühe.

Zweitens. In den 80ern erzählte mir einer, den ich von Gelegenheitsjobs her kannte, von seiner Idee. Er wollte sich eine Wohnung ersteigern, die heruntergekommen und billig genug war, damit er sie sich leisten könnte. Zwar müsse er dafür Kredit aufnehmen, so ungefähr zehntausend Mark, aber dann würde er in der Bude Tag und Nacht schuften, die Fliesen neu machen, das Zimmer renovieren, Boden verlegen, malern, schleifen, neue Fenster einbauen und wenn er dann damit fertig wäre, würde die fertige Butze fünf Mal so viel wert sein, wie er da reingesteckt hatte. Und ich dachte: Na gut, aber warum so viel Geld leihen, wenn ich meine Miete auch so bezahlen kann? Neulich erzählte mir jemand, der den Typen auch kennt, dass der ein ziemlich geiziger Schwofel geworden sei, aber anscheinend hatte er seinen Plan durchgezogen. Er verkaufte die Wohnung für ein Mehrfaches, kaufte sich eine andere und begann von neuem. Inzwischen gehören ihm ein Dutzend Miethäuser und er muss Leute beschäftigen, die seinen Reichtum verwalten. Er selbst könne das natürlich nicht tun – er hat ja noch einen gutbezahlten Job.

Drittens. Auch in den 2000ern verzockten wir gerne die Nacht. Es muss im Winter 2000 gewesen sein, denn ich erinnere mich daran, dass es einfach nicht hell werden wollte, obwohl es schon nach Sechs war. Wir waren dabei, die ganze Nacht über Formel-Eins zu fahren, wobei man jede Menge Fantasie aufwenden musste, um die Spielegrafik spannend zu finden. Auf alle Fälle, ich beschloss gerade, noch mal Bier und Kippen von der Tanke nachzukaufen, da sagte Paul zu mir: „In der Zwischenzeit schau ich mal, wer tatsächlich gerade in der Formel Eins führt. Ich nutze jetzt nur noch Google“. Und ich fragte: „Google“? „Ja“, erzählte mir Paul, „das ist ’ne gute Suchmaschine, die statt des Meta-Prinzips die Links zählt, die auf das Ziel verweisen. Wenn du also was suchst, werden dir die Ergebnisse nach der Relevanz angezeigt und nicht nach der Größe der Firma oder nach irgendwas, was du gar nicht suchst. Die gehen jetzt übrigens an die Börse. Aktien von denen könnten eine gute Investition sein“. Und ich sagte: „Diese 40 Mark hier sind alles was ich habe. Und von denen gehen jetzt noch mal zehn für Kippen und Bier drauf. Ich glaube nicht, dass ich mir Google-Aktien kaufe.“

Was ich damit erzählen will: Klar könnte der Zufall eine Rolle dabei spielen, sehr, sehr reich zu werden, aber das sagt einfach nichts über den Wert des Glücks an sich aus. Wer genug zum Leben hat, der hat keinen Grund dazu, unglücklicher zu sein als Bill Gates. Wobei ich keine Ahnung davon habe, ob Bill Gates genug Anlass dazu hat, glücklich zu sein. Aber wenn ich mich so umschaue, dann haben die meisten Menschen die ich kenne, keine Übung darin, ihr Glück zu erkennen, während sie ständig damit beschäftigt sind, glücklicher zu werden. Insofern ist „Jeder ist seines Glückes Schmied“ ein wahrhaftiger Satz, wobei ich mich überhaupt nicht um das Glück anderer Leute kümmern muss, sondern in erster Linie darum, mein eigenes zu erkennen. Und verdammt nochmal, das kann ich ganz gut.

Epilog:

Sei du mir Omen und Orakel
und führ mein Leben an zum Fest
wenn meine Seele, matt vom Makel
Die Flügel wieder fallen lässt

Gib mir das Niebesessne wieder:
das Glück der Tat, das Recht zu ruhn,
mit einem Wiegen deiner Glieder
Mit einem Blick für meine Lieder,
Mit einem Grüßen kannst du’s tun.

Rainer Maria Rilke.

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