Schlimmer geht immer!

(Bild von Pexels auf Pixabay)

Es war Freitagmittag. Irgendwer hatte bei der letzten Feier einen halben, selbstgebackenen Marmorkuchen stehen lassen. Dazu packte ich meinen Schlafsack, die Zahnbürste, Jeans und T-Shirt und dreihundert Märker ein. In den Untiefen des Kofferraums meiner fahrbaren Badewanne fand ich zu meiner eigenen Überraschung eine fast komplette Palette Dosenbier. Das sollte reichen. Ich wollte übers Wochenende nach Amsterdam, zum Dämmen. Die meisten Schwesternschülerinnen und Zivis aus dem Wohnheim waren sonstwo im Sommerurlaub, also musste ich es alleine durch-ziehen. Auch aus der Mitfahrerzentrale war niemand am Start. Das hätte mich beunruhigen können, aber es war erst der Anfang einer Verkettung äußerst unglücklicher Umstände.

In Amsterdam machte ich mich daran, mein Taschengeld in einem geeigneten Coffeeshop in Columbia Super Skunk zu tauschen, entdeckte aber auf dem Weg dorthin einen Spielsalon, die einen dieser Rennwagen hatten, in den man sich zum Formel-Eins-Fahren reinsetzen konnte. Ich gewann das Rennen, stellte aber wenig später mit Entsetzen fest, dass ich meine dreihundert Mark verloren hatte. Vermutlich, weil sie in meiner Geldbörse einfach aus der Jeans rutschten, während ich Monacos Hafeneinfahrt mit Vollgas nahm. Noch bevor es mir überhaupt auffiel, war sie weg. Mein ganzer Besitz bestand nun aus siebzehn Pils-Dosen Karlsberg Feingold, dem übrigen Marmorkuchen, einem zu Dreiviertel gefüllten Päckchen Tabak, einem kläglichen Rest rotem Libanesen und etwas Sprit im Tank. Die Katastrophe begann erst, es fühlte sich jedoch jetzt schon nach existenziellem Ausmaß an.

Mit den Nachwirkungen eines Abendessens, das aus fünf Bier und den Kuchenresten bestand, versuchte ich, mir das Geld mit ein paar geschnorrten Münzen am Samstagmorgen tickern zu lassen. EC-Karten gab es noch keine und mein Konto war knietief im Dispo. Es stellte sich dann heraus, dass das telegraphische Postamt wegen Umbau bis zum Montag geschlossen sein würde. Ungeachtet der Tatsache, dass die verbliebenen zwölf Bierdosen nun meine einzige Nahrungsquelle waren, hatte ich wegen des Katers keinen Appetit drauf, zum Frühstück damit nachzulegen. Am späten Nachmittag gab ich meinen Widerstand auf und abends war ich dann soweit, mich nach was Essbarem umsehen zu müssen. Nach einer Weile fand ich ein noch in Folie eingeschweißtes Hamburgerbrötchen. Ich starrte es ziemlich lange an, während ich mir Mut zuredete, dass es den rundum feiernden Touristen eh egal wäre, wie es mir geht. Dann griff ich beherzt zu und verzog mich damit, als ob ich gerade was geklaut hätte. Die Sache begann jetzt, sich dramatisch in Richtung eines Unheils zu entwickeln.

Hungrig, übelst gelaunt, nach Schweiß und Karlsberg Feingold miefend, wusch ich mich sonntags auf dem Bahnhofsklo und machte mich auf den Weg zur Mitfahrerzentrale. Nachdem ich mit meiner Geschichte durch war, lieh mir einer der Angestellten zehn Gulden und besorgte mir drei Mitfahrer. Das war der erste Lichtblick an diesem Wochenende des Wahnsinns, aber leider auch der letzte. Während er mir die Daten der Mitfahrer notierte, ließ ich meinen Blick aus dem Fenster schweifen und sah draußen einen vorbeifahrenden Abschleppwagen, der – natürlich! – meine Badewanne am Haken hatte! Ich flog die zwei Etagen runter zur Straße, erwischte den Fahrer gerade noch an der roten Ampel und ballerte „this is my car!“ rufend gegen seine Tür. Der Fahrer blieb äußerst gelassen, kurbelte die Scheibe runter und reichte mir einen Zettel, auf dem der Platz für abgeschleppte Badewannen eingezeichnet war und zog davon. Ich sah meiner Kiste eine Weile nach, stand wie Donald Duck mitten auf der Kreuzung und sah mir die Zeichnung auf dem Zettel an. Ein großes, rotes Kreuz darauf markierte eine Stelle, die sich verdammt weit weg befand. Ich war jetzt soweit, die Serie von äußerst unvorteilhaften Zufällen für beendet zu erklären.

Ich latschte also eine Stunde nach Nordosten, weil ich die zehn Gulden nicht fürs Straßenbahnfahren ausgeben wollte. Außerdem wäre ich garantiert beim Schwarzfahren erwischt worden. Nachdem sie mir auf dem Parkplatz meine Geschichte mit dem Bargeld ohne Diebstahlsanzeige nicht glauben wollten, lief ich nochmal eine Stunde zum nächsten Polizeirevier zurück, um dann postwendend auf dem Zahnfleisch wieder zum Parkplatz zu kriechen. Immerhin verflogen die Abendstunden des Sonntags ohne Kohldampf. Dank des unverhofften Reichtums der zehn Gulden, deckte ich mich mit Käse und Brot ein. Zurück im Kadett, feierte ich den Nahrungsvorrat und riss die letzten drei Pilsdosen auf. Es war das leckerste und beste Abendessen aller Zeiten, was mich endgültig zu der leichtsinnigen Annahme verleitete, dass die Pechsträhne nun zu Ende war.

Montags kassierte ich das telegraphisch transferierte Geld vom Postamt ein, gab die zehn Gulden zurück, lud Jill und Marianne aus London auf ihrer Durchreise nach Portugal, sowie einen Iraner namens Malik ein. Malik war Chirurg, aber sie erkannten ihm seine Scheine nicht an und so musste er irgendwo auf ’ner Baustelle Steine schleppen. Sein einziges Gepäck bestand aus einer winzigen Tasche und einer riesigen Tüte Mashmallows, die er für seinen Enkel in Deutschland mitbrachte. Auf dem Rückweg regnete, blitzte und donnerte es, wie ich es noch nie zuvor sah. Der Regen lief in Sturzbächen über die Frontscheibe und man konnte das vor einem fahrende Auto kaum noch erkennen. Außerdem wurde es dunkel, aber nachdem ich das Licht einschaltete, begann der Wagen plötzlich zu ruckeln, als ob uns jemand den Sprit klauen würde. Wir bogen an einem Schild, auf dem „Pannekoekenbroederij“ stand, vom Highway ab, parkten und sahen uns im strömenden Regen an, woran es liegen könnte. Malik kam als Erster auf die richtige Spur. Die Kohlekontakte der Lichtmaschine waren hin und solange wir Scheibenwischer oder Licht brauchten, würde es nicht mehr weitergehen. Einige Pannekoeken und Selbstgedrehte später, schliefe wir an der Theke ein, nachdem ich Jill und Marianne wieder ausgezahlt hatte. Sie waren der festen Überzeugung, mit Trampen schneller voranzukommen, was ich ihnen nicht verübeln konnte. Konnte es jetzt wirklich noch heftiger werden?, flehte ich im Morgengrauen nach oben. Und siehe, sprach der Herr: Schlimmer geht immer!

Auf dem Weg zur Grenze fing es schon wieder an, wie verrückt zu regnen. Ich gab es auf, die Scheibenwischer anzustellen und ließ es einfach über die Scheibe fließen. Es hatte sowas lustig Halluzinogenes, wenn man durch das schüttende Wasser die Fahrbahn suchte, aber wenigstens mussten wir kein Licht mehr einschalten. Kurz darauf rief Malik, ich solle anhalten und so fanden wir Jill und Marianne triefnass auf der Standspur wieder. Nachdem sich alle nach dem Genuss einer Friedenspfeife wieder beruhigt hatten, startete ich vorsichtshalber eine Umfrage: „Hat von Euch jemand was dabei, was er nicht dem Zoll zeigen will?“ „Nein, natürlich nicht“, sagten sie alle wie einhellig, aber es beruhigte mich nicht. Denn wenn eines sicher war, dann dass sie uns filzen würden, als ob wir die größten Dealer Europas wären. Ich wusste es, denn es kam jedes einzelne Mal so – es war ein Ereignis, auf das man ganz sicher zählen konnte. Und so kam es dann auch. Als uns der Zöllner entdeckte, winkte er uns mit wissendem Siegerlächeln auf die Seitenspur und als wir alle draußen waren, ließen sie die Hunde ans Auto. Natürlich schlugen sie an! Ich hatte schließlich mehr Zeit kiffend IN meinem Oldtimer zugebracht, als draußen. Es wäre eher ein Wunder gewesen, wenn sie es nicht getan hätten. Dann ging das übliche Procedere los. Es wollte einfach kein Ende nehmen.

Jill und Marianne mussten den Inhalt ihrer Rucksäcke auf dem Tisch ausleeren und so ziemlich das Erste, was zum Vorschein kam, waren diverse Pfeifen, Brenn- und Schniefwerkzeuge, mit denen man fast alles auf dem Drogenmarkt Verfügbare konsumieren konnte. Sie kassierten die beiden ein, aber als sie nach Stunden wieder rauskamen, hatten sie außer einem Bußgeldbescheid, den sie ohnehin nie zahlen würden, nichts kassiert – sieht man mal davon ab, dass nicht nur ihre Taschen bis aufs Genaueste durchleuchtet wurden. Malik fühlte sich sicher, weil er kaum was dabei hatte, aber wie sich herausstellte, war er sich seiner Sache ZU sicher. Sie wollten einfach nicht glauben, dass ausgerechnet DER DA, der Ausländer, so gar nichts dabei hatte. Und so rissen sie ihm die für seinen Enkelsohn gedachte, riesige Packung Mashmallows auf und jedes einzelne Schaumzuckerteil auseinander! Ich beobachtete Malik und sah ihm an, was es mit ihm machte. Tja, und dann war ich dran. Mir gehörte ja das Drogenauto, bei dem die Hunde beinahe ausgeflippt wären. Für mich hatten sie eine ganz besondere Behandlung vorgesehen und ich musste mich aufs Klo setzen, während mir einer der Zöllner dabei zusah und anschließend das Ergebnis mit Handschuhen und einem Wühlstäbchen begutachtete. „Super Job“, dachte ich, „Glückwunsch“. Aber die ganz große Bescherung wartete noch auf uns.

Draußen vor der Tür stand meine Badewanne oder vielmehr, was an traurigem Rest noch von ihr übrig war. Die Sitze und die Fußmatten waren draußen, der Kofferraum war ausgeräumt und alles was abschraubbar gewesen war, lag in Einzelteilen rum. Selbst die Radkappen, der Luftfilter und die Türverkleidungen lagen auf der Straße. Sie hatten die ganze Karre in Einzelteile zerlegt, aber außer Kuchenkrümeln und leeren Bierdosen, die sie alle einzeln begutachteten, nichts gefunden. Meine drei Außerirdischen halfen mir dann unter Ausstoß diverser Flüche beim Zusammenbauen und nach ’ner Stunde waren wir wieder startklar. Es war inzwischen Dienstagnachmittag. In Duisburg fanden wir eine Werkstatt und setzten Malik zuhause ab. Den Rest fuhren wir in einem Rutsch durch, gestärkt unter Zuhilfenahme einiger Mitbringsel der Londoner Ladies, die sie trotz allem durch den Zoll brachten. Wie, ist mir bis heute unklar.

Es war eine verdammt harte Tour gewesen und ich hatte das Gefühl, den beiden was zu schulden. Irgendwie fühlte ich mich mit verantwortlich für das, was der deutsche Zoll an der Grenze mit uns anstellte, nachdem sie die Nacht im strömenden Regen an der Autobahn verbrachten. Als Entschädigung nahm ich die beiden bis zum Wohnheim mit, ließ sie bei mir pennen und verbrachte die Nacht bei meiner Nachbarin. Am nächsten Morgen fuhr ich sie bis zur französischen Grenze, wo sie ihren Daumen wieder in den Wind hielten. Ich wette, sie erinnern sich bis heute daran, wie Malik an seine zerrissenen Mashmallows. Für mich fühlte es sich wie fünf Tage Backpfeifen am Stück an. Als ob mir jemand deutlich machen wollte, dass es an der Zeit war, über mein Leben nachzudenken. Aber ich schätze, ich hab es einfach ignoriert.

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Siehe auch: Verfluchtes Amsterdam (1)

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