Hallo, Herr Kaiser!

Bild von Jill Wellington auf Pixabay

Um es gleich klarzustellen: Ich halte alle Jobs für beschissen. Der Hauptgrund, warum ich so viele beschissene Jobs durchgestanden habe, liegt darin, dass der allererste der schlimmste von allen war. Alles was danach kam, war irgendwie durchzustehen, weil es weniger schlimm war. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich dazu kam. Es war wohl eine Anzeige im Wochenblatt und dort stand irgendwas von Geld und ich brauchte natürlich Geld. Was ich über Versicherungen dachte, war: Man zahlt in eine Kasse ein und wenn es dann zum Schadensfall kommt, rechnet sich die Versicherung aus, wie viel Geld bisher eingezahlt wurde, wie viel Geld wahrscheinlich noch eingezahlt wird und wie hoch das Risiko ist, dass sich der Schaden wiederholt. Und meistens versuchen sie, sich um die Schadensregulierung zu drücken. Wie das kalkuliert wurde, wusste ich nicht. Das war nicht viel, aber alles, was ich darüber wusste, als ich die Anzeige der Hamburg-Mannheimer las. Hallo Herr Kaiser und so. Der wird mir das schon beibringen, der Herr Kaiser. Ich hatte eine Ausbildung in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft hinter mir und so weit kann das doch gar nicht auseinander liegen, vermutete ich. Und weil es in meinem erlernten Job keine Stellen gab (und es auch sonst ziemlich mies damit aussah), dachte ich mir: Mal sehen, was die so von mir wollen und was es dafür gibt.

Anfangs schien es mir auch überhaupt nicht verdächtig, dass man für seine Schulung selbst zuständig war. Sie drückten einem ein ungefähr dreißig Seiten starkes Skript in die Hände und das war es dann schon. Zu meiner Überraschung ging es überhaupt nicht darum, dass man was über die Versicherungsarten lernte oder wie man ein Risiko kalkuliert, sondern das Motto des Jobs war im Großen und Ganzen: Es ist leicht und Du wirst reich damit. Verkaufe einfach unser hervorragendes Produkt. Höchstwahrscheinlich wäre ich stutzig geworden, wenn die Versicherung „Goldenes Sternchen“ oder „Himmel auf Erden“ geheißen hätte, aber es war die „Hallo, Herr Kaiser“. Und die konnten doch nun wirklich nicht zu den Bad Guys zählen. Das Produkt, um das es ging, war eine als Lebensversicherung getarnte Geldanlage. Man zahlte monatlich einen Betrag rein und sie versprachen einem ziemlich imponierend hohe Zinsen. Nicht, dass ich Ahnung davon hatte, was ziemlich imponierende Zinsen waren. Aber es ging auch weniger darum, das rechnerisch zu beherrschen, sondern wie man es verkauft. Ich ging also hin und lernte eine kurvenreiche Mittdreißigerin kennen, die sofort merkte, dass sie Eindruck auf mich machte. Sie sei meine Patin, sagte sie und wackelte dabei so toll mit ihren Brüsten, dass ich es einfach glauben wollte. Sie war diejenige, die mir Tipps bei Beratungsgesprächen gab, die mir die Antworten auf kritische Fragen vorkaute und die auch der Meinung war, man müsse das Ganze erst mal bei Verwandten oder Freunden üben, bevor man gut genug darin würde, die Abschlüsse selbst und mit Fremden hinzukriegen.

Ich war nicht mal 20 und ich kapierte es einfach nicht. Selbst als ich die Einladung in ein First-Class-Hotel erhielt und mir dort das Blaue vom Himmel anhörte, ging mir kein Licht auf. Ich fand zwar, dass das Versprechen auf einen Urlaub auf den kanarischen Inseln nicht so sehr nach seriöser Versicherung klang, aber ich dachte auch, das müsse so sein. Sie versuchten auch, das Wort „Verkaufen“ immer zu vermeiden und durch „Beraten“ zu ersetzen und es hieß, dass man mit den Anlagepapieren quasi on top versichert war und zwar gegen irgendwas, was viel besser als bei allen anderen Versicherungen war, aber die angebliche Pointe habe ich vergessen. Wie dem auch sei, ich ging zur großen Schulung in dem sehr teuren Hotel, in dem ich übernachten und frühstücken durfte am größten Frühstücksbuffet, dass ich bis dato gesehen hatte und einer von denen, der es konnte versprach uns, innerhalb kürzester Zeit sehr reich zu werden. Es gab ein Punkte-System. Punkte, wenn man was verkaufte und mehr Punkte, wenn man es für mehr Geld verkaufte. Wer das kleine Produkt verkaufte, kriegte soundsoviel und wer das mittlere verkaufte mehr davon und wer das große verkaufte, das Doppelte an Punkten. Außerdem kriegte man Punkte dafür, wenn man welche zum Mitmachen und Verkaufen überredete, so dass man auch doppelt verdienen konnte und dreifach, wenn die wiederum andere dazu brachten, was zu verkaufen. Es klang irgendwie nach einem astreinen Schneeballsystem – und genau das war es auch. Aber weil viel von Erfolg, Reichtum und sorglosem Leben die Rede war, merkte das keiner.

Wer viel verkaufte, stieg in die nächsthöhere Ebene auf und kassierte extra was von allen, die man hinter sich gelassen hatte. Die Erfolgreichsten durften zusätzlich einen Porsche oder Ferrari am Wochenende fahren und wenn man eine gewisse Grenze erreichte, bezahlten sie einem den Urlaub auf Fuerteventura und immer so weiter. Der an einen Animateur erinnernde Referent, der vermutlich auch sehr gut an uns allen mitverdiente, rechnete es vor: Es reichte völlig, einen Abschluss pro Woche zu machen und schon wird man automatisch zum Topverdiener. Den Rest der Zeit könnten wir uns ausruhen. Es war unfassbar, wie wir armen Irren, die eigentlich nur einen Job haben wollten, hier für einen Konzern ackern sollten, der uns ein Schneeballsystem anbot. Und gerade weil es diese namhafte Versicherung war, die in der Werbung stets so seriös rüberkam, überfiel niemanden der Verdacht, dass die Sache gehörig stinkt. Sie bildeten Bezirks- und Regionalcoaches aus und Landescoaches und weiter darüber hinaus und sie hatten Tagungsorte für uns verirrte Schäfchen, die nach Luxus rochen: 5-Sterne-Hotels mit fetten Matratzen und einem unendlichen Frühstücksbuffet, aber natürlich durfte man die zweite Hotelnacht erst buchen, wenn man mal was verkauft hatte. Wir bekamen jede Menge Werbematerialien und dann sagte die Frau mit den vielen Punkten und den üppigen Brüsten, ich könne ja jetzt loslegen, weil ich alles darüber weiß, wie ich das Ding verkaufen kann. Ich solle beim ersten Mal versuchen, einen Freund zu überzeugen, damit man einen leichten Einstieg habe und ich roch den Braten, aber dachte immer noch, das soll so sein. Ich fragte meinen Freund Lothar, wofür ich mich heute noch schäme und er dachte glücklicherweise wirklich, es sei ein Spiel und machte es mit.

Ich erinnere mich noch, wie wir zu dritt gemeinsam in meiner kleinen Bude saßen und anstatt mir tatsächlich mit irgendwas zu helfen, versuchte sie, ihm Geld abzunehmen. Während ihre Figur auch auf Lothar wirkte, merkte ich, wie sie den ganzen Humbug aus der Schulung bei ihm anwandte und mit allen Tricks dabei war, ihm diesen Vertrag anzudrehen. Er war genauso wie ich mit der Ausbildung durch und hatte seinen ersten Job und sie versuchte, ihm die Hälfte seines Gehalts abzuschwatzen. Es war ekelerregend und ich glaube, das war letztendlich auch die große Rettung, weil Lothar merkte, wie unwohl ich mich fühlte und ihm unsere Freundschaft doch noch wichtiger war, als die beiden beeindruckenden Glocken, die sie uns zeigte. Natürlich machte sie mir hinterher Vorwürfe, dass ich ihr nicht dabei geholfen hatte, aber ich war heilfroh, aus der Nummer raus zu sein. Ich versuchte es später noch bei zwei anderen, die mir weniger bedeuteten als mein bester Freund, aber selbst in diesen kläglich gescheiterten Versuchen musste ich immer daran denken, wie widerwärtig dieses Systen war. Ich erkannte spät, aber nicht zu spät, dass es im Namen des seriösen Versicherers meine Seele kosten würde, wenn ich diese Lüge weiter erzählt hätte.

Ich hatte noch viele Jobs danach, die mein Blut kosteten, nach Schweiß stanken und mich zu Tränen rührten, aber das hier brachte ich einfach nicht. Es war, als ob man mich zwang, mich meiner größten Phobie zu stellen und gerade der Fakt, dass ich den Betrug erkannte und täglich neue nützliche Idioten einstiegen, machte mich fertig. Aber das Frühstücksbuffet war der Hammer. Und die beiden Glocken auch.

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