Worauf es wirklich ankommt

Es war ein sonniger, warmer Frühlingsmorgen. Ich hatte gut gefrühstückt und gab ordentlich was rein vom schwarzen Afghanen, rollte das Ding zu einem formschönen Trichter und schlurfte in aller Ruhe mit meinem Kaffeebecher und dem Joint zwischen den Lippen über den Flur rüber zum Schneemann, der nicht so hieß, weil er auf den Winter stand. Unsere Zimmer waren klein und auf jeder der zehn Etagen im Wohnheim gab es fünfzehn davon, eine Küche für alle und eine Reihe von Duschen und Klos, die erstaunlich sauber waren. Als Zivi war jeder von uns auf einer anderen Station eingesetzt. Ich arbeitete in der Anästhesie. Und der Schneemann arbeitete in einem Labor, wo wir oft Blutkonserven orderten, wenn die Organe unserer Patienten noch brauchbar waren.

Aber heute würden wir keine Blutkonserven schleppen. Heute war es an der Zeit, unser Wohnheim etwas aufzuhübschen. Die Gerichtsmedizin war weiter weg, also war eine brauchbare Transportmöglichkeit angesagt. Das war seine Sache. Er blieb cool wie immer. Ich solle mir keine Sorgen machen, es sei alles geritzt, sagte der Schneemann, während wir den Joint quarzten. Diese Seite schätzte ich sehr an ihm. Ich zeigte ihm die Bilder, die ich in der Woche zuvor von den Wänden im Leichenschauhaus gemacht hatte. Sie waren reichlich verwackelt, weil ich dreimal dabei gestört wurde. Denn jedes Mal, wenn ich abdrückte, lief jemand vorbei und fragte, ob er mir weiterhelfen könne. Es war also einiges an Personal unterwegs – wir mussten gut vorbereitet sein.

Für unsere Party wollten wir einen guten Geschmack beweisen. Darum wählten wir in aller Ruhe die besten Stücke von meinen Fotos aus, verglichen sie miteinander und diskutierten die Vorzüge oder Nachteile. Ich brauchte ohnehin wie immer größere Mengen Kaffee, bevor ich in die Gänge kam, denn die Balance zwischen schwarzem Arabica und schwarzem Afghanen erforderte Übung. Wir besprachen noch kurz die Weltlage und bewegten wie immer den kompletten Kosmos, aber dann konnte es losgehen. Der Aufzug brachte uns in den Keller zur Werkstatt des Hausmeisters, der während seiner Arbeit ohnehin nie zu finden war. Von dem konnte man noch viel lernen. Sein Arbeitsanzug lag wie vermutet schön säuberlich gefaltet im Spind. Ich streifte ihn mir über und fühlte mich augenblicklich unangreifbar.

Dann zeigte mir der Schneemann die für den Job vorgesehene Transportmöglichkeit. „Ich fass‘ es nicht“, rief ich aus, „Du hast den Lieferwagen Deines Vaters besorgt? Bist du bescheuert?“. Er zeigte wenig Verständnis für meine Fragen. „Als dein Anwalt“, sagte er, „rate ich Dir zu Ruhe und Besonnenheit“. „Wir fahren bei der forensischen Pathologie mit nem Wagen vor, auf dem FRISCHE FISCHE steht??“ Zweifellos drohte die Sache zu platzen. Mit dem Ding waren wir wohl aufgeschmissen. Er dachte einen Moment angestrengt nach und man konnte sehen, wie sich das Bild in seinen Hirnzellen breitmachte. „Aber die Mensa ist nebenan – alles gar kein Problem – bleib jetzt ganz locker“, sagte mein Anwalt. „Niemand wird Verdacht schöpfen“.

Wir stellten die Fischkarre direkt vorm Haupteingang der Forensik ab und betraten routiniert und im gelassenen Handwerkerschritt die heiligen Gänge. Da war sie also, unsere Beute! Siebzehn Schautafeln, die den Herstellungsprozess jeder nur vorstellbaren Droge zeigten. Für jede einzelne Droge eine komplette Handlungsanleitung von A bis Z. Manche davon waren so detailliert, dass sie als Kochvorlage für Drogenküchen bestens geeignet waren. Die Tafeln waren klassifiziert nach Stoffklassen, Ursachen und Wirkung. Es wurde nach biogenen, halbsynthetischen und synthetischen Drogen unterschieden. Während die Halluzinogene weiter vorne hingen, ging es Richtung Treppenaufgang zum harten Stoff. Auf einer Tafel sah man zum Beispiel Bauern bei der Ernte von Kokablättern und nebenan eine Koksnase, an der noch Schnee klebte. Allein dieses Bild war die ganze Mühe wert. Wir würden damit mächtig Eindruck schinden!

Wir nahmen die riesigen, metergroßen Tafeln in aller Ruhe von den Haken, eine nach der anderen und trugen sie alle der Reihe nach den Gang entlang, das Eingangstor raus, die Treppen runter und ab in die Fischkarre, die abartig nach Aal oder sowas stank. Als wir bei der dritten oder vierten Tafel waren, kam irgendwer in einem weißen Kittel vorbei, schaute sich das kurz mal an und war dann auch schon wieder weg. Wir hätten mit weißen Kitteln und Namensschildern auf denen „Dr. Seltsam“ steht, vermutlich die Leichenkammer ausräumen und damit zum Fischhändler fahren können. Einer rief noch: „Na, das wird ja auch mal Zeit“. Ich war gerade beim Verschließen der Heckklappe, als diese junge Frau im weißen Kittel neben mir auftauchte. Sie wollte wissen, ob die Dinger ausgetauscht werden und für einen kurzen Moment sah ich uns auf der Anklagebank des Amtsgerichts sitzen. „Als Dein Anwalt rate ich Dir, dazu nichts zu sagen“, rief mir der Schneemann zu. Ich schaute die Frau an. Es war eine skurrile Szene, aber sie gab sich damit zufrieden.

Dann schaukelten wir die Anleitungen zur Herstellung einer beunruhigend großen Menge an Meskalin, Heroin, Ecstasy und jeder Menge anderer Uppers und Downers zurück zum Wohnheim. Beim Ausladen verteilten wir die Betäubungsmittel und Drogen, wie wir es für angebracht hielten. Das Foyer erhielt die harmloseren Betäubungsmittel, während wir die Amphetamintafel – sozusagen als Begrüßung für das Partyvolk – im Aufzug ließen und dann unsere gesamte Wohnetage, die Küche und die Klos mit dem übrig gebliebenen harten Stoff dekorierten. Es sah jetzt richtig gut aus an den Wänden. Ungefähr so, als ob es an jeder Zimmertür was anderes zu kaufen gab. Den Rest des Tages verbrachten wir mit dem ausgiebigen Studium der Vorräte vom Schneemann und dem Lesen der Drogentafeln, damit wir auf die Präsentation am Abend ausreichend vorbereitet waren. Jedenfalls konnte die Feier jetzt starten. Wir hatten unseren Teil dazu beigetragen.

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