Uuuund…. Action!

2016. Es war ein Samstag im Juli und ich fuhr zur Demo gegen die Räumung der Rigaer – 94. Nicht, dass ich daran wirklich Aktien hatte, aber in den 80ern wohnte ich im Westen selbst in besetzten Butzen und außerdem hatte ich sowieso nichts anderes vor. Außer der Eröffnung eines russischen Filmfestivals, aber man muss eben Prioritäten setzen in Berlin.

Eine halbe Stunde vor dem Start schätzte ich ein- bis zweitausend Teilnehmer, später sollen es dreieinhalbtausend gewesen sein, man verlor schnell den Überblick. Gut gefiel mir, dass der vermummte schwarze Block vorn mit der Polizei verhandelte, welcher Weg es nun genau vom Kotti aus nach Friedrichshain sein soll. Man konnte sich zwar nicht riechen, aber man respektierte sich. Dann gab es ein paar Lautsprecherdurchsagen, dass sich die Polizeifotografen von nun an gefälligst zurück halten sollten, es seien jetzt genügend Fotos von allem und jedem gemacht worden. Und tatsächlich zogen sich die mit den Kameras zurück. Im Penny nebenan war Ausverkauf, weil sich jeder mit ein oder zwei Fußpils bewaffnete und dann konnte das endlich losgehen.

Es war ein friedlicher und netter Spaziergang über den Nachmittag hinweg, ich hatte eine Reihe von guten Gesprächen und Entdeckungen entlang des Fußwegs. Und als wir am russischen Haus vorbeiliefen, entschied ich mich doch noch spontan zu einem Besuch. Das war eine gute Entscheidung, denn gerade als ich reinkam, war der russische Botschafter mit seinen Grußworten durch und es gab Soljanka und Wodka für alle. Dann begann der Eröffnungsfilm über einen russischen Kriegsgefangenen, der mit den Bäumen im Wald sprach und gerade als ich eine durch den Wodka begünstigte innere Verbindung zum Protagonisten aufbaute, fiel mir die Demo wieder ein. Die mussten jetzt alle schon oben am besetzten Haus sein – und das versprach doch wesentlich mehr Action.

Tatsächlich sah die Strategie der Berliner Polizei so aus, dass hinter dem Demoblock die Straße abgeriegelt war, als ich ankam. Ich diskutierte mit den Uniformierten ein bisschen über Freiheitsrechte und Volkswillen, aber sie ließen mich einfach nicht durch. So konnte es nicht weitergehen. Ich kannte mich gut aus und wusste: Hinter der nächsten freien Toreinfahrt der Frankfurter musste es eine Querverbindung geben. Ich suchte die Einfahrt, fand auch die Hinterhöfe und stiefelte von dort aus durch drei Vorgärten bis zu irgendeiner Hoftür in der Liebigstraße, drückte die Türklinke und schon war ich drin. Ich stand direkt im Hausflur von einem der Häuser, die mitten in der Sperrzone lagen. Draußen vor der Tür schien der Häuserkampf in vollem Gange und als ich den Kopf nach draußen steckte, flog allerlei Zeugs durch die Gegend. Links von mir lag eine Polizeiwanne auf der Seite, rechts von mir stiegen Rauchschwaden auf.

Hier war ne Menge los, keine Frage. Ich war mittendrin und voll dabei. Euphorisiert von meiner gleichfalls einfachen wie funktionierenden Idee mit den Vorgärten und Hoftüren, versuchte ich mich erst mal zu orientieren. Das hier war eher die Art von Action, die einen schlagartig nüchtern werden ließ. Ich hob die Hände, drückte mich mit dem Rücken zur Häuserwand entlang, immer der Leuchtreklame eines Spätis entgegen und schaffte es tatsächlich, dort reinzukommen. Perfekt – und genau schräg gegenüber der 94. Einen besseren Logenplatz konnte man auf gar keinen Fall kriegen. „Mögen die Spiele beginnen“, rief ich aus.

Drinnen war die Party voll im Gange. Mindestens zwanzig von den Leuten, die ich beim friedlichen Demo-Spaziergang noch gesehen hatte, standen offensichtlich schon länger hier gefangen im winzigen Späti rum und waren kräftig am Feiern, während draußen der Krieg zwischen Polizei und schwarzem Block tobte. Schön kuschelig war es hier. Aber wenn wir hier noch sehr viel länger stehen mussten, drohte der Biervorrat auszugehen. Ich nahm mir auch eins der Flaschenbiere aus dem Kasten und prostete meinen Nachbarn zu. Außer den seltenen Biersorten, Pales und Ales, die sonst kein Mensch säuft, gab es kaum noch was anderes.Der Händler hier machte zweifelsfrei den Umsatz seines Lebens.

Draußen trieb gerade eine Hundertschaft mit Schilden und Schlagstöcken den Block an uns vorbei, aber kaum hatte ich das Bier angesetzt, ging das ganze wieder anders rum und die Polizisten liefen rückwärts, die Schilde hoch zum Schutz, während das ganze geworfene Zeugs an ihnen abprallte. Das war voll gutes Action-Kino hier. Dann kam kurz einer von den schwarzen Gestalten rein und jemand drückte ihm ein Bier in die Hand. Später kam auch noch einer von den Polizisten rein, völlig fertig, erschöpft und fragte atemlos nach Wasser. Davon war ja noch reichlich da. Wir drückten ihm eine große Pulle in die Hand. „Geht aufs Haus. Nachher noch ’nen ruhigen Feierabend“! Dann widmeten wir uns wieder dem Feuerwerk vor der Tür. Bisschen störend war, dass man es oft knallen hörte, aber die Ursache von drinnen aus nicht sofort erkennen konnte. Am Soundsystem sollten sie arbeiten, sagte ich meinem Nachbarn.

Es gab an diesem Abend noch einiges zu sehen, während wir da drin eine richtig gute Party für wenig Penunze hatten. Wenn man in einem vorher nicht geplanten Happening und auf sehr engem Raum mit aufrichtig interessierten Gleichgesinnten zusammensteht, entwickeln sich spontan Freundschaften fürs Leben. Gegen Elf wurde es dann endlich ruhiger. In der Rigaer brannte ein alter Golf vor sich hin. Zehn bis zwölf Mülltonnen lagen aufgetürmt Ecke Liebigstraße und direkt vor der Tür fehlten einige Pflastersteine. Ein großer schwarzer Hund lief herrenlos durch die Gegend, schaute von draußen treudoof rein und wir öffneten ihm die Tür, denn vom Hundefutter war auch noch reichlich da. Der Kampf hatte sich jetzt nach Norden Richtung Forckenbeckplatz verschoben, was uns auch ganz recht war – keiner von uns hatte so viel Zeit und Ausdauer und außerdem gab es nur ein Klo da drin. Der Kneipe hier war mittlerweile sowieso komplett leer gesoffen. Also war es an der Zeit, zu wechseln.

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