Showdown

Bild: axonite/pixabay

Auf den Einladungen des Arbeitsamts stand jedes Mal drauf: „Ich möchte mit Ihnen über
Ihre Beschäftigungssituation reden“. Ja, dachte ich mir, ich auch. Noch drei Wochen Zeit.
Also steckte ich mir ein paar Klamotten, meine Zahnbürste und was zum Rauchen ein –
und machte mich auf den Weg zur Autobahn. Bargeld spielte so gut wie keine Rolle, was
hauptsächlich daran lag, dass ich sowieso keins hatte. Oft wusste ich nicht mal, wo die
Reise hingeht, bevor der erste Wagen hielt.

Dieses Mal, an diesem sonnigen Samstag in den Achtzigern, fuhr jemand ins
schweizerische Bern. „Okay“ sagte ich, „da will ich eh hin“, bevor ich da hin wollte. Dann
fiel mir Dschordschi ein, den ich seit dem Zivildienst nicht mehr gesehen hatte und der
jetzt echtes Geld verdiente dort unten irgendwo in den Bergen und von dem ich hörte,
dass er sogar ’ne Freundin und ein eigenes Auto hatte. „Das schaust du dir an“, dachte
ich. Immerhin war bei diesem Reiseziel ein echtes Bett in einer trockenen Butze zu
erwarten.

Tatsächlich stimmte das mit dem Auto und das mit der Freundin sogar auch noch. Sie war
ausnehmend hübsch, aber sie beging den Fehler, mich direkt nach meiner Ankunft für
eine unbestimmte Zeit einzuladen. Denn die Schweiz hatte ein enorm entspanntes
Verhältnis zu allerlei Drogen, was den Kauf von Dope einfacher machte, als die Zutaten
für eine Käse-Fondue. Dschordschi freute sich natürlich wie Bolle, dass er wieder
jemanden zum Kiffen und Feiern hatte.

Und eines Abends fanden wir eine Kneipe, deren einziges, aber unübersehbar deutliches
Markenzeichen es war, dass sich in der Mitte des riesigen Raums ein im gleißend hellen
Licht stehender Pool-Billardtisch befand. Es war ein Monster von einem Tisch! Mehrere
Reihen Tische und Stühle standen drum herum, die alle besetzt waren – und alle starrten
in Richtung des Monsters. Es war eine Arena. Und wer am Spielen war, stand im
Rampenlicht.

Ich war objektiv betrachtet ein mäßiger Kneipenspieler, aber ich hatte ein paar Tricks
drauf. An guten Tagen versenkte ich alle sieben Kugeln nacheinander. Aber wie jeder
Amateur trank ich dabei, weil die ersten beiden Biere erfahrungsgemäß beim Zielen
halfen. Aber wenn ich besoffen war, schlingerten die Kugeln ganz woanders hin.
Jedenfalls fühlte ich mich beim Betreten der Halle augenblicklich wie Paul Newman, als er
in „Haie der Großstadt“ mehr Kugeln in 90 Minuten versenkte, als ich in meinem ganzen
Leben.

Das hier war sie also, die ganz große Bühne. Unter drei riesigen, kreisrunden
Scheinwerfern. Alles in diesem Laden war auf diesen Monster-Tisch ausgerichtet. Wer in
den Ring wollte, legte eine Münze auf die Bande, wer gewann blieb drin und wer verlor,
der flog raus. Das waren die Regeln. „Dschordschi“ legte eine Münze dazu, die zehnte
oder zwölfte, und markierte sie mit einem Joint-Filter. Dann suchten wir uns einen Platz
mit einer guter Sicht aufs Geschehen, orderten zwei große Helle und begannen damit, die
Spiele zu kommentieren.

Und je länger wir zusahen und tranken und rauchten und darüber lästerten, wie schlecht
die anderen spielten, desto klarer wurde mir, dass ich gleich selbst im Rampenlicht
stehen würde. Nach zwei Stunden und vier Halben stand ich schließlich auf, schwankte in
die Arena und wusste, dass ich mich jetzt unsterblich blamieren würde. All Eyes on me.
Aber ich konnte jetzt auf gar keinen Fall einen Rückzieher machen. Vereinbart war
nämlich, dass ich als erster spiele, weil ich den Gegner sowieso umhaue, damit wir
anschließend noch gegeneinander spielen.

Ich nahm das Queue in die Hand, drehte es fachmännisch in die Kreide, setzte ein
gekonntes Paul Newman – Pokerface auf und sah mir den seit vier Spielen
ungeschlagenen Gegner an. Im gleißenden Licht sah ich nur die erste Tischreihe rundum,
aber ich wusste, dass „Dschordschi“ mich genau so beobachtete, wie die hundert
anderen. Dann verlor ich in weniger als fünf Aufnahmen. Und jedes Mal, wenn ich neu
ansetzte, geblendet vom Scheinwerferlicht, spürte ich die ganzen schrägen Visagen auf
mir, die allesamt wussten, dass ich es verbocken würde. Und so war es dann auch.
„Dschordschi“ machte es anschließend besser, verlor aber ebenfalls, kurz nachdem die
vollbusige Bedienung ein großes Helles neben ihm parkte. „Okay, Ihr Luschen“, rief ich,
„Paul Newman hat die erste Runde auch immer absichtlich verloren“. Aber das wusste
hier offensichtlich keiner. Sollten die halt mal Glück haben.

Es dauerte dann noch ein paar Tage, bis es „Dschordschis“ Freundin auf die Ketten ging,
wie wir ständig irgendwo zum Feiern abhingen und ich zog in eine weitere Attraktion von
Bern um, die sich Stadthaus nannte. Eine mehrstöckige Blockholzhütte, in der jeder
willkommen war. Schlafen, Trinken, Tanzen, Rauchen – oder bloß mit jemandem reden.
Selbst Junkies drückten hier unter Aufsicht ihr Zeugs rein. Davon konnte unsere piefige
Heimatstadt noch was lernen. Aber dann ging mein letzter Vorrat an Münzen zur Neige
und ich kehrte zurück zur Autobahn. Außerdem rückte dieser Termin näher.
Jemand wollte mit mir über meine Beschäftigungssituation reden.

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