Powershopping im Kiez

(Bild: wikimedia Commons)

Neulich im Drogeriemarkt.

Was man halt so braucht. Bisschen Seife, neue Zahnbürste. Ich wollte gerade Richtung Kasse, als ich eine sehr eindringliche, ungewöhnlich hohe und "quäkige" Stimme hörte. "Bittää. Sibää." – rief die Chinesin im Nebengang dem Jungen zu, der wahrscheinlich dort in Ausbildung war. Jedenfalls trug er ein Shirt der Drogeriekette. Er mühte sich redlich, verständnisvoll auszusehen, aber er verstand das Problem nicht. "Bittää. Sibää", wiederholte sie sehr überzeugt. Der Azubi vermittelte Kundennähe, indem er näher an sie ranrückte. Es nutze ihm bloß wenig. "Sibää" wiederholte sie laut und deutlich. "Siebe?" fragte er freundlich zurück? "Naa!" sagte die Chinesin. "Sibää!". Für einen kurzen Moment war Ruhe. Auch andere Kunden rätselten mit, hatten aber den Mut noch nicht, auf die mögliche Lösung zu tippen. "Siebe". sagte der Azubi bestimmt. "Sie wollen Siebe! Komm'se ma mit."

Ich simulierte Interesse an den Haushaltswaren, während ich dem ungleichen Gespann folgte. Von meinem Platz in der Regalreihe nebenan aus, konnte ich den blonden Schopf des Verkäufers noch sehen, nicht aber die kleine Asiatin. "Das sind unsere Siebe", hörte ich den Mitarbeiter in stolzem Unterton sagen. "Naa!", kam es noch mal ein Stück lauter zurück. "Sibää. Sibää!", rief sie. "Bittää" setzte sie nach. Immerhin kannte sie drei Wörter, dachte ich mir. Das sind drei mehr, als ich chinesische kenne. Der Drogeriemann war mit seinem Chinesisch offensichtlich auch schon am Ende. "Monika", rief er, "kannste ma herkomm'?" Ich entdeckte Monika bei den Shampoos. Sie ließ das Einräumen sein und kam etwas genervt um die Ecke. "Wat wolln'se'n?" rief Monika barsch. "Sibää". Sagte die Chinesin wenig überraschend. "Sibää". Wiederholte Monika nachäffend. "Sibää", bestätigte die Chinesin. "Watt'n ditte?" fragte Monika, bekam aber keine andere Antwort. "Ach, weeßte watt die will… die braucht ne Schippe zum schippen!" rief sie triumphierend aus. "Sibää", kam es bestätigend zurück. Die drei bewegten sich in Richtung der Gartenabteilung. Und mit ihnen eine bereits beachtliche Menge der übrigen Kunden. Ich dachte mir, das Schauspiel schaust du dir an. Wenn Sibää Schippe heißen soll, dann wollte ich das auch wissen.

Wir also mit ungefähr acht Leuten im Tross Richtung Blumenerde. Natürlich war es keine Schippe. Hätte mich aber auch gewundert, dachte ich mir. Inzwischen kam das Gequäke schon in einer Mischung aus Verzweiflung und Ärger. Warum um alles in der Welt verstand sie keiner, obwohl sie es doch laut und deutlich rausrief: "Sibää. Sibää!!" Dann besann sie sich und testete ihr zweites Wort. "Bittää" jammerte sie. Vielleicht sollte sie einen Telefonjoker einsetzen, der mehr als drei Wörter drauf hat? Der nächste Versuch kam von einem Kampfberliner. "Silba" sagte der Typ mit Badeschlappen und Jogginghose. "Die Frau sucht watt zum Saubermachen für ihr Silba, ditt hör ick doch!" Die Chinesin schaute ihn dankbar an. "Sibää", nickte sie ihm zu. Die ganze Mannschaft, inklusive allen verfügbaren Mitarbeitern lief jetzt in die Putzmittelabteilung. Ich sicherte mir einen Platz in der ersten Reihe. Die Chinesin musterte die Paste, schaute auf die Verpackung – und als ob sie die Beschriftung lesen könnte, legte sie die Tube wieder zurück. Sie war sich anscheinend sicher. "Naa", sagte sie ihr drittes Wort. Und unterstrich es ein zweites Mal. "Naa". Sie war deutlich verzweifelt und mit den Nerven am Ende. "Sibää", versuchte sie es nochmal. "Bittää. Sibää."

Endlich zog sie die Funke raus und tippte eine unendlich lange Tastenkombination. Wir warteten alle sehr gespannt auf das Ergebnis. Nach einer Weile ging auf der anderen Seite jemand dran. Für so eine kleine Frau hatte sie ein unfassbar lautes Sprachorgan. In Kombination mit ihrem Chinesisch hatte es etwas gleichsam Komisches wie Unheimliches, aber sie war dermaßen entschlossen und auch deutlich davon überzeugt, dass der Drogeriemarkt sowas Alltägliches wie "Sibää" einfach führen musste. Sie reichte den Hörer triumphierend an den herbeigeeilten Marktleiter weiter, der die Angelegenheit inzwischen zur Chefsache erklärte. Er hörte eine Weile aufmerksam zu und fragte dann ins Telefon zurück: "Fische? Silberfische?" Die Chinesin nickte. "Sibää", bestätigte sie. Der Chef legte auf. Er sah nicht sehr überzeugt aus, als wir Richtung Ungeziefer pilgerten. Die Chinesin prüfte auch diese Packung sehr genau. "Naa". Sie schüttelte verärgert den Kopf. "Naa". Aber dann entdeckte sie die Zeichnung des Ungeziefers auf dem Beipackzettel und zeigte auf etwas, was entfernt wie ein Fischlein aussah.

Also ging es mit dem kompletten Tross weiter zum Tierfutter. Wir diskutierten das Problem. Vom hinteren Ende des Drogeriezugs kamen Rückfragen. "Ha'm wa's nu?", aber immer noch traute sich keiner, zu lösen. Beim Fischfutter verursachten wir einen beachtlichen Rückstau, als wir versuchten, die Reaktion der Chinesin auf die einzelnen Packungen zu deuten. Wir waren jetzt ganz nah dran. Ohne Zweifel. Sie prüfte die Dosen und Packungen und Pasten eine nach der anderen durch, schien aber mit keiner so recht zufrieden. "Die sucht die Silberflocken", rief ein Mädchen von hinten, das ich wegen der Masse an Leuten gar nicht entdecken konnte, als ich mich umsah. "Ach ditte, wo det so silbern schimmert, wenn et ins Wassa flockt", rief Monika. "Dit ham'wa nich"!

Wir waren alle merklich enttäuscht. Die Show war zu Ende und kein Happy End weit und breit. Wir drückten der Chinesin unser Beileid aus, als wir einer nach dem anderen an ihr vorbei gingen. Wir hätten ihren Fischen das Silberfutter gegönnt.

 

 

 

 

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