Moon Over Bourbon Street

Shanghai.


Das Hotel lag mitten im berüchtigten Hafenviertel. Vom einstigen Rotlicht war aber nicht mehr viel übrig. Ein paar Puffs reihten sich aneinander. Dazwischen ein Fußmassagesalon und dann gab es noch die Nudelmacher, denen ich jeden Tag mit wachsender Begeisterung zusah. Während ich beim Frühstück Sachen aß, von denen ich nur die Hälfte kannte, sah ich aus den großzügigen Scheiben des Hotels rüber zu den Nudelmachern, die ihre Teigstreifen einzeln wie Teppiche über die Stangen hängten, um daraus wiederum kleinere Streifen zu schneiden und daraus wieder kleinere. Dann nahmen sie die langen Dinger und drehten sie durch eine Maschine, um sie danach wieder mit Schwung auf andere Stangen zu werfen. Ein grandioses Schauspiel. Und allemal wert, beim Frühstück zuzusehen. Wenn ich davon genug hatte, suchte ich mir im Zimmer meine Sachen zusammen und ging auf Entdeckungsreise durch die endlos große Stadt. Der erste Weg führte stets zum Massagesalon. Drinnen saß eine Reihe von Männern wie beim Friseur aufgereiht und jedem der Kerle massierte eine Frau die Füße fit.


Anfangs war ich mir nicht sicher, ob es eines der Bordelle war, in die ich geradewegs stiefelte. Und als ich drinnen saß, auch nicht so recht. Von den Chinesinnen im Salon sprach keine Englisch und ich kein Wort Chinesisch. Ich deutete auf meine Füße und die Angestellte auf einen der Sessel. Die Füße wurden ausgiebig gewaschen. Dann trocknete sie mich ab und diese kleine, zierliche Chinesin kniete sich vor mich hin und legte los. Sie kümmerte sich tatsächlich nur um meine Füße. Das war gut so, weil ich das Preisschild nicht lesen konnte. Und als sie zwanzig Minuten später damit fertig war, federte ich wie auf Wolken los. Der Sex mit ihnen konnte einfach nicht besser sein, als ihre Massagen. Also beließ ich es dabei, auch wenn sie wirklich gut darin waren, Kundschaft zu werben. Wenn ich abends mit der Fahrradrikscha nach Hause kam, lief mir immer einer der Türsteher vor den Bordellen nach und versuchte, mich rumzukriegen. "Fickificki" rief er mir immer nach. Und "Very cheap". Tatsächlich wurde es jeden Abend billiger. Anfangs rief er mir "One night, one hundred" oder "Only fifty – everything you want" nach, aber als ich ihn drei Abende nacheinander stehen ließ, versuchte er es mit den Details. Zehn für dies, zehn für das, "Satisfaction guaranteed".


Mit der Zeit machte ich mir einen Spaß daraus, dem Fänger Sachen zurück zu rufen, wie "next week" oder "I'm back in ten minutes", aber ich traute dem Braten nicht und konnte die Preisschilder auch weiterhin nicht lesen. Abends öffnete ich die Fenster, goss mir einen großen Rum auf Eis ein, genoss die Sommerluft und sah mir den Verkehr von oben an. Hunderte von Fahrrädern bahnten sich ihren Weg durch die enge Gasse und es war jedes Mal wie ein Wunder, dass sie nicht zusammen stießen. Chinesen haben das Gehör zu einer Art Ultraschallsignal umfunktioniert, so scheint es jedenfalls. Jeder plauderte oder klingelte oder hupte vor sich hin, aber die Kakophonie war immer noch erträglich genug, um nicht die Fenster schließen zu müssen. Das Begleitgeräusch des Verkehrs war sogar ganz angenehm. Ich legte mich auf die Matratze, schlürfte einiges von dem ausgezeichneten Drink weg und hörte mir das Treiben draußen an, bevor ich langsam wegdämmerte. Und am nächsten Tag war wieder Nudelkino. Und ich freute mich auf die kleinen, flinken Hände.


Als ich wieder weiterziehen musste, war mir die ganze Szenerie ans Herz gewachsen. Nach dem letzten Hotelfrühstück überquerte ich die Straße und sprach die Nudelmacher an, von denen mich natürlich auch keiner verstand und ich sie erst recht nicht. Ich deutete auf die Nudeln und hoffte, dass sie mir davon ein paar einpackten, aber sie sahen mich an, als ob ich sie nach dem nächsten Puff fragte. Es war einfach nicht zu vermitteln. Sie machten halt die Nudeln, aber sie verkauften sie nicht. Ich versuchte es noch mit ein bisschen Zeichensprache, aber gab dann auf. Ich schlenderte mit meinem Koffer an der Stelle des Türstehers vorbei und hätte mich darauf gefreut zu erklären, dass ich jetzt leider keine Zeit für "Fickificki" wegen des langen Wegs zum Airport hätte, aber er ließ sich nicht blicken. Dann riskierte ich einen Blick in den Massagesalon. Die Chinesin sah mich an. Ich deutete auf meine Füße und hielt den Daumen nach oben. Sie lächelte.

 

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Gelesen am 26.06.16 in Zimmer 16, der Offenen Pankower Lesebühne, Text 3

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