Notiz an mich selbst

Die großen Augenblicke realisierst Du erst, wenn sie vergangen sind. Wenn Du gut darin bist, die Momente zu genießen, dauert es nicht sehr lange, bis du sie als die großen Dinge realisierst. Wenn Du nicht so gut drin bist, merkst Du erst nach Jahren, wie schön etwas war. Wir beschäftigen uns viel zu oft mit unserem Ärger, unserer Wut, dieser ganzen Scheiße, die uns auf die Nüsse geht. Frage jemanden, was ihn ankotzt und er wird Dir sagen, wie sehr ihn die S-Bahn nervt, das Warten im Stau, die Macken seiner Alten, die Maloche oder dass stets zu wenig Kohle da ist. Tausend schlechte Dinge des Lebens. Irgendwas ist immer. Aber wenn Du auf jemanden triffst, der Dir sofort sagen kann, was ihn glücklich macht, dann weißt Du, dass Du einem ganz besonderen Menschen begegnet bist. Glück lässt sich nicht erzwingen. Aber es ist möglich, es zu erkennen und es zu würdigen, wenn es Dir widerfährt.

Glück ist beispielsweise, Dein Weib nach dem Sex im Arm zu halten, sich anzusehen und gemeinsam zu schweigen. Glückshormone durchfluten lassen. Ich kenne keinen friedvolleren Moment. Glück ist, Dich an einem sommerlichen Nachmittag der Sonne hinzugeben, die Wärme auf der Haut zu spüren, Dich mit Licht durchfluten lassen, das Sein genießend. Glück ist, laut über sich selbst zu lachen. Glück ist, einem Kind beim Spielen zuzusehen. Oder auf dem Markt einen Apfel zu finden, in dem noch ein Wurm überlebt hat. Das beste daran ist, Du kannst das alles jederzeit wiederholen. Aber es ist schwer zu erkennen, wenn Du Dich immerzu damit beschäftigst, was in Deinem Leben unglücklich schief läuft. Das Außergewöhnliche ist dagegen leicht zu erkennen. Das Glück besteht dann darin, sich diese Momente auf die Festplatte zu brennen und sie zum Leben zu erwecken:

Im Sommer schnorchelte ich durch die Korallenriffs vor Ägypten und ich bewunderte, wie faszinierend bunt das alles war. Das Wasser plätscherte ohne großen Wellengang vor sich hin, es war glasklar und man konnte ohne weiteres mehrere Meter tief bis zum Boden sehen. Einmal entdeckte ich einen Fisch mit nur einem Auge. Er hatte sich im Sand eingebuddelt und äugte nach oben. Ein anderes Mal fand ich eine Riesenschnecke, die gut und gerne samt Muschel ein Pfund wog. Überall waren Farben, die so intensiv leuchteten, dass es kaum zu fassen war. Es schien mir so schön und unwirklich, dass sich ein Gefühl wie im Traum einstellte und ich mich in eine Art Rausch schwamm. Ich konnte einfach nicht genug davon kriegen und verlor die Orientierung, weil ich mit meinen Riesenflossen einfach drauf los paddelte.

Dann endete das Riff plötzlich und vor mir tat sich ein Abgrund auf, der so tief war, dass das eindringende Sonnenlicht nicht ausreichte, um das Tal auszuleuchten. Ich kriegte es schwer mit der Angst zu tun und mir stockte der Atem bei der Vorstellung, gerade ohne Sicherung über einen unendlich tiefen Krater zu schweben, mich packte die schiere Höhenangst. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und tauchte einige Meter nach unten ab. Die Temperatur des badewannen-warmen Wassers nahm sofort merklich ab und ich beäugte allerlei dieser seltsamen Wesen, soweit ich sie noch erkennen konnte. Überall schwammen und krochen die lustigsten Tiere rum. Als mir die Luft zu knapp wurde, drehte ich wieder um und strebte dem hellen Sonnenlicht der Oberfläche entgegen, dass sich durch das Wasser in langen Strahlen Licht ins Dunkle brach, als ob ein nicht enden wollendes Feuerwerk eintauchen würde. Es glitzerte wundervoll.

Genau in dem Moment, als ich den Kraterrand passierte, aber noch vor dem Luftholen, kam ein riesiges Tier vom Riff her kommend direkt auf mich zu und schwebte über mich hinweg. Es dauerte ein oder zwei Sekunden bis ich begriff, dass über mir ein ausgewachsener Rochen kreuzte. Das Tier war so riesig, dass er das eindringende Sonnenlicht für einen kurzen Moment verdunkelte. Seine mächtigen Schwingen führten gleichfalls elegante wie majestätisch wirkende Bewegungen aus. Wenn ich nicht so dringend hätte atmen müssen, hätte ich mir vor Angst in die Hosen gemacht. Es war ein Stachelrochen und er schwamm, wie es kein Mensch hätte leisten können, drehte sich in der Vorwärtsbewegung kurvend in die Längsachse nach unten, um dann im Dunkeln, direkt unter mir zu entschwinden. Ich sah den Flügelschwingen nach, bis er komplett verschwand. Die Faszination, diesem großen eleganten Schwimmer zu begegnen, war ein Moment des Glücks, den ich nie vergessen werde.

Es war ein Glücksfall. Ein Fall von Glück. Und es machte mich für den Moment glücklich, aber nicht zu einem glücklichen Menschen. Über diesen feinen Unterschied wollte ich mit Dir reden.

 

 

 

 

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