Mein politisches Leben

Bild: Die Freiheit führt das Volk / Delacroix
 
Irgendwie war mein Leben immer politisch. Warum das so ist, kann ich nicht so recht erklären. Ich verehre Charles Bukowski, der wiederholt in seinen Stories schrieb, er möge die Politik nicht und natürlich auch keine Politiker. Es sei ihm egal, wer was beschließt und wer gerade das Sagen hat. Insgeheim hat mich das schwer beeindruckt. Aber gelungen ist mir die Abstinenz nie. Ich empfand es immer als nervig und sehr belastend, dass es zu viele Autos, Waffen, Ignoranten und Geld gab, das für die falschen Dinge ausgegeben wurde. “Give Peace A Chance” lieferte mir nichts Konkretes, aber es fühlte sich trotzdem besser an als diese ganze Welt da draußen. Als Teenager lauschte ich den Texten von Klaus Hoffmann und Bob Dylan. Mit 15 interessierte ich mich für die Ideen von Marx und Engels, während manche Mädchen in meiner Klasse eine Karriere voller Blumenkohlrezepten vor sich hatten. In der evangelischen Kirchengruppe war erstmals von Umweltbewusstsein die Rede. Und mein Opa erzählte gerne und voller Stolz vom Krieg. Aber als ich damit anfing, seine glorreichen Geschichten zu hinterfragen, schwieg er. Weil ich ihn mit Völkermord und Rassenwahn nervte.
 
Mit 16 trug ich selbstgestrickte Pullis und meinen Anti-AKW Button voller Stolz. Dann kam ein hohes Tier von der Bundeswehr in unsere Klasse und versuchte, uns Jungs von einer Karriere beim Bund zu überzeugen und ich verwickelte ihn in ein Streitgespräch, das sich größtenteils um Berufskiller und Befehlsempfänger drehte. Der arme Kerl konnte dabei nur verlieren und so kam es dann auch. Schwerter zu Pflugscharen. Als die Nächte lang wurden, redeten wir uns bei Bier und Zigaretten die Köpfe heiß, ob Konstantin Wecker trotz seiner Goldkettchen glaubwürdig sei. Später besuchte ich Veranstaltungen der vereinigten Kriegsdienstverweigerer und wurde auch selbst einer. Damals musste ich eine schriftliche Begründung dafür abliefern, warum ich den Dienst an der Waffe verweigern will und schrieb 27 handschriftlich eng beschriebene DIN-A-4-Seiten runter, die vermutlich nie jemand las. Mit 17 gründete ich den Ortsverband der Grünen mit, hasste aber diese ewigen Streitereien und endlosen Sitzungen. Einmal machten sie aus vierzehn einundzwanzig Tagesordnungspunkte und beschlossen keinen einzigen davon, also ließ ich es wieder. Ich dachte, bei den Jusos sei das bestimmt besser organisiert, aber dort kam außer mir nur ein Einziger zum Stammtisch – und der hatte irgendwas an der Klatsche. Jedenfalls benahm er sich sehr seltsam.
 
Dann schaute ich mich um, wer bei der MLPD so rumhing, das war die marxistisch-leninistische Partei Deutschlands. Das hörte sich viel spannender an, als es war. Immerhin war es nicht die “deutsche kommunistische Partei”, denn da war dieses böse K dabei, nachdem man die KPD verboten hatte und sie in Teilen wieder in der DKP entstand. Ich merkte allerdings ziemlich schnell, dass es quasi unmöglich war, irgendwelche konkrete politische Ideen einzubringen, ohne es sich mit den Hardlinern zu verscherzen. Alles, was mit praktischer Umsetzung zu tun hatte, funktionierte einfach nicht. Es war wie in einer riesigen, theoretischen Blase. Ein sowjetischer, ideologischer Fixstern, der einfach Eins-zu-Eins in die westdeutsche Gesellschaft fantasiert wurde. Selbst die DDR war anscheinend nur eine aufgeweichte Variante des Ideals und Leute wie ich kamen nie über den Status eines Kaffeehaus-Sozialisten heraus, also gab ich dort auch wieder auf. Es war mir einfach zu mühsam.
 
Ich begann damit, mich Bewegungen anzuschließen, die sich unabhängig von Parteien für eine Welt engagierten, die ich für eine bessere hielt. Mir war es egal, ob sich bei den Demonstrationen rund um mich herum grüne, rote und tiefrote Gruppen scharten, so lange sie mich nicht fragten, ob ich mitmachte. Mir ging es um die Sache, nicht um die Ideologie. Also setzte ich mich gemeinsam mit ihnen vor die Chemiewaffen-Lager in der Pfalz, marschierte an Ostern mit, war unter den 300.000 im Bonner Hofgarten, zog in die Baumhäuser gegen die WAA in Wackersdorf, geriet unversehens in epische Schlachten mit der Staatsgewalt, besuchte die freie Republik Wendland und bezog Berlins besetzte Häuser. Aber obwohl ich andere in tausend politische Diskussionen nötigte, überzeugte mich nichts davon genug, um den Weg durch die Parteien zu suchen.
 
Stattdessen traf ich manchen Marxisten wieder zur Landtagswahl 1985, als die Chancen an der Saar gut standen, dass die SPD zum ersten Mal seit der Nachkriegszeit die CDU oder deren Vorläufer CVP ablösen könnte. Mir schien das ein viel geringeres Übel und dadurch wurde es attraktiv. Fast jeden Abend war ich in den Kneipen unterwegs und führte Überzeugungsgespräche mit allen möglichen Leuten, so lange sie nur ‘ne Ahnung davon hatten, worüber ich sprach. Es könnte nur einer, es könnten fünf oder zehn oder fünfzig gewesen sein, die ich damals davon überzeugte, SPD wählen zu müssen, damit das Leid endlich ein Ende hat. Die SPD war mir scheißegal, aber als ich Lafontaine am Vorabend der Wahl im “Stiefel” am Markt traf, saß er mit seiner Entourage am kreisrunden Stammtisch und ich ließ es mir nicht nehmen, mich neben ihn zu setzen und erzählte ihm, dass ich unermüdlich für den Umsturz unterwegs war. Den Rest des Abends soff ich auf seine Kosten und als ich ihn zum Feierabend an der Pissrinne wieder traf, fragte ich: „Oskar, klappt das jetzt morgen oder was?” und er sagte “Worauf Du Dich verlassen kannst”.
 
Ein paar Jahre später gab es links der SPD immer noch keine Alternative. Die grünen Flügel trennten sich derweil und die Realos bliesen zum Marsch durch die Institutionen. Mein politisches Idol Petra Kelly wurde eines Morgens mit einer Kugel im Kopf gefunden. Dann wärmte ich meine Connections wieder auf und besuchte auf einer Studienreise mit dem sozialistischen Studentenbund die DDR. Nie war ein Mörder effektiver als der real existierende Sozialismus, was meine letzten idealpolitischen Träume anging. Dann kam die Volkszählung und ich hängte mich voll rein, verbrachte Monate in den Bürgerinitiativen und sammelte die zuvor verteilten Bögen aus der Nachbarschaft wieder ein, schnitt die Nummern aus der Ecke oben rechts aus und warf den kiloweise gesammelten Datenschrott vors Ministerium. Das Waldsterben verwickelte mich in weitere Demos, Initiativen, Streitereien, Diskussionen und als ich meinen Frust und meine Furcht ums Ende der Welt in einer viel zu großen Wolke aus Haschischdampf tauchte, wachte ich in einem europäischen Krieg wieder auf.

Ausgerechnet Joschka, der erste Turnschuhminister, unterschrieb die militärische Invasion in den Kosovo – und damit war auch dieses Thema endgültig für mich erledigt. Das ausgerechnet Gerhard Schröder mal ein Juso gewesen sein soll, wollte mir auch nie so recht einleuchten. Jede politische Heimat war jetzt weiter entfernt, als es zu Fuß nach Algerien war. Erst als ich Oskar mit Gregor Gysi gemeinsam bei einem Auftritt zuhörte, keimte wieder sowas wie Hoffnung in mir, doch noch eine Partei zu finden, die für meine Werte einstand. Zumindest waren mir die Ideen nicht fremd, für die ich früher selbst noch gekämpft hatte. Ich ließ das einige Jahre auf mich wirken und Alternativen waren auch nicht in Sicht. Also versuchte ich es tatsächlich noch mal, indem ich parteipolitische Veranstaltungen besuchte. Aber mir war nicht klar, wohin das führen sollte. Außerdem vergaßen sie, mir meinen Mitgliedsbeitrag abzubuchen, was mir die Entscheidung dann endgültig abnahm.

Heute schaue ich mir die politischen Grabenkämpfe an und wundere mich bisweilen, welche absurden Dinge die letzte mir wählbare Partei aufs Tapet bringt und dann denke ich an Charles, der sich diesen ganzen Senf einfach gespart hat und gleich zum Wesentlichen kam. Mit ihm zusammen hätte ich gerne ne Partei gegründet. Die Partei der politisch neurotischen Linksliteraten oder sowas. Kann ja noch kommen.

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