Mein Leben als Makler

Das alles so scheinbar leicht ging, als man mich einstellte, hätte mich misstrauisch machen können. Aber das tat es nicht. Ich war einfach froh, ohne weiteres einen neuen Job zu haben, als ich nach Berlin kam. Es versprach Perspektive und mir war es wichtig, erst mal anzukommen. Der Typ meinte, es sei leicht verdientes Geld und ich glaubte ihm, weil es sich auch so anhörte. Die Firma, für die ich die Wohnungen verkloppen sollte, belegte eine komplette, zehntausend Quadratmeter große, ehemalige Fabriketage. Und genau so sah es da auch aus. Nach Fabrik. Die Decken hatten gut und gerne sechs Meter Höhe und man hätte zwei Fußballfelder drin unterbringen können. Auf der Riesenfläche standen insgesamt zehn mal zehn Tische, in Gruppen aufgeteilt und auf jedem einen Rechner und einen Drehstuhl davor. Es sah nach einem gigantisch großen Rad aus, das hier gedreht wurde, was ich aufregend fand. Unsere Etage war im Vierten, wo man von einer Rampe nach draußen einen wunderbaren Blick über die Spree hatte. Über diese Plattform wurde früher mit einem Kran Allerlei vom Wasser aus ins Haus geschafft. Jetzt war es unsere Terrasse und diente den Rauchern als Pausenplatz. Es war schon aufregend, überhaupt hier hoch zu kommen und die Stadt zu sehen: Es gab nur einen Industrie-Aufzug mit Platz für ungefähr vierzig Personen, der sich donnernd und krachend nach oben bewegte, wo man mit einem Trick die Außentüren zur Etage selbst öffnete. Morgens mit dem Monster hochzufahren und sich dann erst mal die Spree von oben anzusehen, war schon mal was, weswegen man gerne kam.

Sie hatten eine Datenbank, aus der man die Kunden fischte und wenn man jemanden am Telefon hatte, der noch eine Wohnung suchte, dann musste man dranbleiben und aus einer anderen Datenbank eine Wohnung nach der anderen anbieten. Das Revolutionäre an der Sache war, dass in diese Datenbank ständig neue Wohnungen und Kunden gespeist wurden, ohne dass man dafür was tun musste. Die Kunden kamen sowieso von allein. Es gab nahezu unzählig viele Interessenten, darunter auch sehr viele Dänen, Spanier, Italiener. Außerdem kriegte jeder, der eine neue Wohnung zum Verkauf ins System einstellte, das Gleiche wie der, der sie verkaufte. Man musste also nicht selbst nach Kunden oder Wohnungen suchen, trotzdem konnte es jeder tun. Alle griffen auf alle Daten zu und die Wohnungen oder Kunden gingen nie aus. Die Datenbank war riesig. Und weil ich einer der Ersten in der Firma war, sollte ich eine der aus je zehn Maklern bestehenden Gruppen anleiten und dafür was extra kriegen – und zwar jeweils zehn Prozent der Provision des Deals. Es klang paradiesisch. Und ich verdiente so gut wie überhaupt nichts.

Anfangs ließen wir uns von der Euphorie tragen, dass immer mehr auf der Etage anfingen, weil sie genauso dran glaubten, außerdem kamen dadurch noch mehr Wohnungen und noch mehr Kunden rein. Dann wurde es schwieriger. Die guten Wohnungen waren schnell verkauft und die, die übrig blieben, hatten garantiert einen Haken. Wenn sie in der falschen Ecke lagen, wollte sie keiner. Wenn sie in der richtigen Ecke lagen, waren sie überteuert oder mussten grundsaniert werden. Das typische Suchprofil lautete: Berliner Westen, vorzugsweise Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Altbau, kein Sanierungsfall, ganz oben mit Aufzug oder höchstens in der zweiten Etage mit viel Licht. Immer wenn ich jemand Neues am Telefon hatte, hätte ich den Text schon vorbeten können, noch bevor ich ihn hörte. Wenn es einen überteuerten Sanierungsfall zu verkaufen gab – und das waren die Wohnungen im Westen fast alle – dann kriegte man die nie los. Ich hätte jede Menge schlechter Märchen erzählen müssen und das brachte ich einfach nicht fertig. Ich war ein lausiger Verkäufer. Und ich war der Einzige ohne eigenes Auto. Ich fuhr die ganzen Strecken mit Bus und Bahn ab. Dafür brauchte ich dann um einiges länger als die anderen, doch ich merkte schnell wie es mir half, Berlin aufs Genaueste kennenzulernen. Das ist überhaupt das Beste, was ich heute über den Job sagen kann: Es wäre die perfekte Vorbereitung für ein Engagement als Stadtführer gewesen. Es gibt einfach keine Ecke in Berlin, in der ich noch nicht war.

Es gab Wohnungen in Pankow oder Hellersdorf oder Grünau, die so günstig waren, dass ich selbst darüber nachdachte, darauf zu sparen. Die wollte kein Mensch. Es gab Wohnungen in Schöneberg oder Wilmersdorf mit den gleichen Merkmalen und dem doppelten Preis. Die wollte dann jeder sehen. In manchen Wohnungen war ich so oft, dass es eine Art Zweitwohnung wurde, in denen ich wusste, wie es sich auf dem Balkon sitzt – oder auf dem Klo. Jedes Mal, wenn ich die Wohnung jemandem zeigte, betete ich meinen Salm runter und jedes Mal, wenn ich dachte „Jetzt aber!“, sagte der Kunde „Ich denke nochmal drüber nach“. Es machte auch keinen Unterschied, wem ich die Wohnung zeigte. Ob klassische Familie, extrovertierte Promis, einsame Herzen oder gelangweilte Erben: Es war egal. Etwas für andere auf Provision zu verkaufen, gehört zu den miesesten Dingen, die man jobtechnisch finden kann. Andererseits schien es genügend gute Verkäufer zu geben, die davon leben könnten. Für mich war es eher ein Desaster. Die Firma entwickelte sich in den ersten Wochen rasant, weil immer mehr Makler dazukamen. Es schien einfach zu verlockend, aus einem nicht endend wollenden Pool an Wohnungen irgendwem was zu verkaufen, was schon passen wird und es war ja egal ob die Wohnungen in die Datenbank rein oder aus ihr raus kamen, theoretisch verdiente man an beidem. Die Idee war genial, aber die Praxis sah anders aus. Von all den Kollegen, die ich in sechs Monaten kennenlernte, war ein Einziger drunter, der drei Wohnungen verkaufte. Ein weiterer schaffte zwei und der Rest eine oder keine. Ich schaffte keine.

Immerhin verdiente ich zwei mal ein paar Prozent mit, weil jemand im Team was riss, aber das zog keine Forelle vom Teller. Erst ganz zum Ende des Projekts, als den Geldgebern die Geduld ausging und die Firma ihrer Pleite entgegen schlitterte, konnte ich eine ordentliche Wohnung in die Datenbank einbringen, die dann kurz vorm Ende der Firma verkauft wurde. Das hätte mir einen ganzen Monat Finanzierung eingebracht, aber natürlich sah ich von dem Geld keinen Cent. Der Chef hatte sich inzwischen aus dem Staub gemacht und ließ sich in der Fabriketage nicht mehr blicken. Es war seltsam und irgendwie unwirklich, wie sich die Etage von Tag zu Tag veränderte. Von all den hundert Maklern, die früher durcheinander telefonierten und tippten und suchten und fluchten, waren täglich weniger zu sehen und auch das elektronische Material verschwand jeden Tag ein bisschen mehr. Keine Ahnung, ob sich die Anderen sozusagen als Ersatz die Rechner klemmten oder ob sie verkauft wurden, aber die Halle leerte sich jeden Tag ein bisschen mehr und eines Tages standen nur noch ein paar Tische rum, als ich die Riesentür des Aufzugs aufdrückte. Ich schaute mich ein letztes Mal auf der Fläche um, aber es gab einfach nichts mitzunehmen, was mir weiter half. Dann fiel mir ein, dass in der Küche noch ein Kühlschrank war, indem ich tatsächlich noch eine Dose Bier fand, die ich dort mal rein gestellt hatte. Die Außentür zur Plattform knarzte im Wind und ich gönnte mir ein letztes Mal den Blick auf die Stadt, riss die Dose Bier auf und nahm einen tiefen und langen Zug daraus. So also, nahm mich Berlin auf. Und irgendwie war der Job ein Sinnbild dafür, wie diese Stadt tickte, nämlich überhaupt nicht. Alles ist ein einziges Chaos und all dieses Umherfahren und Entdecken und Reden und Hoffen und all diese Menschen und dieser ganze Zufall, dem ich ständig ausgeliefert war, passte genau zu dem Ort, an dem ich mich jetzt befand. Mit diesem Gedanken und dem Bier im Bauch ging es mir gleich wieder ein bisschen besser. Es war wieder mal an der Zeit, einen Job weiter zu ziehen.

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