Frisches Fischfutter

Es lief immer auf die gleiche Tour. Wir luden drei Dutzend Anwälte ein, bezahlten ihnen die Parkplätze im Hotel und reservierten einen der besten Tagungsräume der Stadt. Man musste sie stets bauchpinseln. Juristen, was immer sie tatsächlich machten, hielten sich in der Regel für unbesiegbar. Also gaben wir ihnen das Gefühl, die besten zu sein. Die von uns engagierten Girls sahen zauberhaft aus. Sie trugen todschicke kurze Röcke und Nylons. Ihre strahlend weißen Blusen sahen aus, wie aus einem dieser amerikanischen Filme, wo jeder im Vorzimmer diese Models als Sekretärinnen hat. Ich hätte sie gern nach ihrem Sternzeichen befragt, aber das war nicht mein Job. Meine Aufgabe war, mich selbst zu verkaufen. Das hatte ich aus einem Buch für Profis, das ich vor Jahren als Vertreter für Versicherungspolicen mitgehen ließ. Eigentlich hatte ich es nur zur Hälfte durch, als ich im Anzeigenteil las, dass sie einen Profi suchen. Ich rief an und behauptete, dass ich es kann. Und jetzt vertickerte ich Software für Kanzleien.

Ständig war in dem Buch die Rede von irgendwelchen Vergleichen in Karpfenteichen, von großen Hechten und noch viel größeren Fischen, die alles wegfraßen, was ihnen in die Quere kam. Diesen Teil ließ ich weg und ersetzte ihn durch allerlei juristischen Kram, der mir so einfiel. Jetzt fraßen die erfolgreichsten Anwälte die leckersten Fälle weg. Ich flippte die Powerpoint Folien durch. Klick-Klick-Klick-Klick. Alles funktionierte. Auf den Tischen standen Getränke, Gläser. Notizen zum Mitschreiben lagen bereit. Das Buffet mit den feinsten Leckereien war nebenan aufgebaut, aber ich sorgte dafür, dass man es während der Show sehen konnte. Das funktionierte einwandfrei. Den Psycho-Trick hatte ich aus dem gleichen Buch. Belohnungs-Syndrom. Alles war jetzt bereit für meinen Auftritt. Ich ging aufs Klo, rückte mir die Krawatte zurecht, sagte mir dreimal, dass ich der größte Verführer aller Zeiten bin, pustete durch und betrat strahlend und voller Zuversicht den Raum. Spot on!

Das Produkt war wirklich gut. Es lief wie von selbst. Zumindest sah es so aus. Dabei war es ziemlich harte Arbeit, vorher alles perfekt zu organisieren. Aber von jetzt an war es ein Kinderspiel. Was ich zu sagen hatte, inklusive jedem wie beiläufig klingenden Scherz, war perfekt einstudiert und sprudelte mühelos wie Quellwasser aus mir raus. Ich hatte mir eine Technik antrainiert, mit der ich alles Wesentliche los werde und nichts davon vergessen kann. Der schwerste Teil lag längst hinter uns und hatte vor allem was damit zu tun, sich sehr genau über die Arbeit der Leute zu informieren, die vor mir saßen. Es waren nie Frauen darunter. Alles Männer. Und die meisten davon alt, weiß, priviligiert wie aus einem Roman vom guten, alten T.C.Boyle. Voller Klischees. Unbesiegbar. Aber ich hatte sie längst auf der Matte und sie merkten es nicht mal. Selbst die Begrüßungen hatten wir eingeübt, indem ich mir merkte, wer sich auf was spezialisierte. Ich stalkte die ganze Meute aufs Sorgfältigste und recherchierte ALLES. Sogar was sie in ihrer Freizeit am liebsten taten. Dann machte ich mir einen Plan, wann ich was sagen würde. Wenn sich beispielsweise jemand in einem Chor engagierte, ließ ich das im Text einfließen, ohne dass es jemand von den anderen bemerkte. Wie leicht die Software zu bedienen wäre. Das sei quasi wie sein Lieblings-Lied zu singen. Wenn jemand in einem Verein groß raus kam, dann lobte und pries ich den Kanusport, die Zucht kurzohriger Zwergkaninchen oder die großartige Kunst sorbischer Eierpinsler. Egal. Es kam letztlich nicht darauf an, was ich verkaufte. Es kam einzig darauf an, ihnen zu sagen, welch großartige, weiße und priviligierte Männer sie sind und dass sie genau deswegen haben mussten, was ich hier für sie vorbereitet hatte.

Und sie wollten es. Spätestens beim zweiten Glas Sekt am Buffet sammelten wir neun von zehn Feedback-Karten ein, samt allem was wir zum Geldverdienen brauchten. Die Girls hatten nicht das Geringste mit der Firma zu tun. Aber ich hatte jeder einzelnen von ihnen erzählt, was von ihrem Auftritt abhängt und dass sie um Himmels Willen nie mit dem Stoff sparen dürften. Immer rein ins Glas. Sie waren einzig und allein für diesen Abend gebucht und die Agentur schickte sie genau in dem Outfit zu uns, das wir sehen wollten. Sie zogen den Kerlen die Karten aus den Taschen, dass es eine reine Freude war. Genau genommen hatte ich selbst auch nichts mit dem zu tun, was ich da verkaufte. Ich hatte weder die Software programmiert, noch sonst einen Anteil daran. Ich bekam eine fette Provision und sie vertrauten mir. Die Jungs waren gut darin, irgendwelche Routinen zu schreiben oder technische Probleme zu lösen. Ich war gut darin, es zu verkaufen. Sie überließen mir die komplette Planung, übernahmen alle Kosten und strichen anschließend ein kleines Vermögen ein. Und ich hatte zwischen jedem Auftritt zwei Wochen Ruhe.

Nach sechs Monaten hatten wir alle Anwälte in der Gegend durch und den Jungs wuchsen Dollarzeichen in den Augen. Wir begannen damit, unsere Shows auswärts zu organisieren. Fünf-Sterne-Hotels. Wellness-Buden. Whirlpools, Saunen, große Miet-Karossen. Fünf-Gänge-Menus. Casinos. Champagner-Meetings. Ich fing an, fett zu werden und mich an den ganzen Jetset-Scheiß zu gewöhnen. Ein gut geöltes Zahnrad im großen, alten, priviligierten Weiße-Männer-Motor. Aber dann kam ein ganz großer Hecht, der konnte das mit dem Verkaufen irgendwie noch besser. Nicht das mit den Shows, aber das mit dem Geldverdienen. Die Jungs waren jetzt selbst große Haie und das lockte wiederum andere Riesenviecher an. Da konnte ich als Zierfisch so viel balzen, wie ich wollte. Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte, waren jetzt die großen Themen: Steuern, Aktien, Kapitalmärkte. Sie waren jetzt Marktführer, zogen um, legten sich eine repräsentative Adresse in einer Großstadt zu und installierten Geschäftsführer, mit denen ich mich rumprügeln musste. Ich hatte nun keine Freiheiten mehr, wie ich was verkaufe, die Hotels wurden Vertragshäuser irgendeiner Kette und sie hatten nicht mal Whirlpools oder chinesische Fußmassagen. Jetzt musste ich mich an Ablaufpläne halten und bekam Vorgaben, was zu sagen sei und was nicht. Und so verlor ich die Lust daran. Im Stellenmarkt las ich, dass sie jemanden suchen, der die Qualität der Menüs in Hotels testet. Also machte ich mich auf den Weg ins nächste Abenteuer.

Ich schrieb den Jungs, dass es anderswo frisches Fischfutter gäbe.

2 Kommentare

  1. Ich bewundere immer wieder deinen Mut, etwas ganz neues zu wagen. Respekt.

  2. Gelesen am 16.11.19 beim Salon Abend

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