Der irre Inspektor

(Weihnachtspausentext)

DER IRRE INSPEKTOR

Er war vom Gesundheitsamt und hatte die Restaurants zu inspizieren. Hatte immer eine große Aktentasche dabei. Da drin hatte er die Fenster-Aufkleber für Güteklasse A, B und C; zwei frische Hemden; ein sauberes Paar Socken. Tja; und dann noch was: einen Scheißhaufen.

Wenn er bei einer Inspektion etwas sah, was ihn misstrauisch machte, dann war er nicht mehr zu halten. Der Koch hatte meinetwegen einen filzigen Bart, die Kellnerin einen verschlagenen Blick, oder ein Gast machte sich verdächtig an seinem Cheeseburger zu schaffen.

Sofort begab sich der Inspektor ins Männerklo, packte seinen Scheißhaufen aus und plazierte ihn an eine auffällige Stelle: ins Waschbecken, auf den Handtuch-Dispenser, auf den Seifenteller. Dann rief er den Geschäftsführer herein und verlangte eine Erklärung. Zwanzig Minuten später war die Küche kalt und das Personal arbeitslos.

Eines Nachmittags wurde er auf dem Weg zum 8th Street Grill von einem Auto überfahren und war auf der Stelle tot. Der Arzt vom Krankenwagen durchwühlte die Aktentasche, fand auch den Personalausweis, aber erst mal stieß er auf den unvermeidlichen Klumpen Kacke. Den konnte man sich nicht erklären, also sah man sich seine Wohnung an.

Da lagen überall Scheißhaufen: im Kühlschrank hatte er welche auf Eis, auf dem Fenstersims trockneten sie in der Sonne, im Backofen waren sie am Braten, und sogar im Spülwasser hatte er einen eingeweicht. Und in den meisten steckte ein Zettel mit dem Namen eines Restaurants und einem Datum – 20. August, Bill’s At The Beach; 30. August, Tom’s Burger Shack; 16. Sept., Tony’s Place. Er wollte sie der Reihe nach dichtmachen.

Der Mann von der Kripo meinte, so ein abartiger Fall sei ihm noch nie begegnet. Der gebe sogar noch größere Rätsel auf als der Würger von Boston. Trotzdem, einen Film hätte man daraus nicht machen können. Ich meine, wie hätten sie den nennen sollen? „Der Kacker von Los Angeles?“

Mal ehrlich, wer würde sich so einen Film ansehen? Mein Freund Henry Chinaski vielleicht. Aber ich nicht.
*
*
*
(Text von Ron Koertge, 1969, veröffentlicht in „Terpentin on the rocks – das Beste aus der amerikanischen Alternativpresse 1966-1977, herausgegeben von Charles Bukowski und Carl Weissner, Maro Verlag 1978) – (Bild: Picsart)
*************
*

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert