Berlin, ick liebe Dir!

 

Bald haben wir Zehnjähriges, mein Berlin und ICKE. Und wenn ich heute unterwegs bin, denke ich mir: ich will gar nicht mehr woanders hin. Ich liebe die Stadt, wie sie ist! Und ich kann das ganze Gemecker von den Berlinern, die hier leben, einfach nicht mehr hören. Den Auswärtigen sei gesagt: Meckern gehört hier nämlich zum Volkssport! Super gern wird beispielsweise über den wahnsinnig üblen Berliner Straßenverkehr gelästert und wie wahnsinnig schwer es sei, von A nach B zu fahren, anstatt einfach in die BVG einzusteigen. Alle Nase lang fährt hier kreuz und quer ein Bus lang. Wenn Du im U-Bahnhof auf die nächste Bahn wartest, wartest Du selten länger als drei Minuten. Meiner Beobachtung nach hat Berlin einen nahezu perfekt organisierten Nahverkehr im Vergleich zu anderen Metropolen. Aber wehe, wenn noch andere mitfahren. Wehe, wenn es mal länger als drei Minuten dauert… Da können monatelang alle Busse und Bahnen fahren, wie sie sollen – da steigt der Berliner nur einmal an der Friedrichstraße um und schon geht das Genöle los, weil auf der Anzeige steht: „Kommt zwei Minuten später“. Stattdessen setzen sie sich in ihre Autos und stehen während der Rush Hour zwischen Steglitz und Pankow eine Stunde lang im Stau, um über den Verkehr zu meckern. Und selbst das, Ihr Kackbratzen, ist im Gegensatz zu London, Paris und Moskau ein Witz, da bräuchtet Ihr für die gleiche Strecke locker die doppelte Zeit! Das Gemecker nennt man dann Berliner Schnauze.

Dabei könnte Berlin ohne Berliner so schön sein. Neben mir sehen das noch eine ganze Reihe anderer so. Die Einwohnerzahlen gehen rapide in Richtung der Vier-Millionen-Marke. Das ist im Vergleich zu Paris, London und Moskau zwar immer noch ein Klacks, aber die kommen ja auch alle zu uns her – und zwar trotz des Genöles, das von den jungen europäischen Studenten und Zuwanderern aus aller Welt vermutlich gar nicht verstanden wird, aber unsereins muss es sich natürlich anhören. Hier meckert einfach jeder über jeden und zwar auf verdammt hohem Niveau. Klar mögen zum Beispiel Münster und Karlsruhe, im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl die fahrrad-freundlichsten Städte sein. Aber lasst uns doch mal einen Vergleich ziehen für eine Radfahrt zwischen zwei Beriner Bezirken, deren Einwohnerzahlen höher als die von Karlsruhe und Münster zusammen sind, und einer ähnlich langen Strecke von einem Ende einer mittelgroßen Stadt bis zum anderen. Hier fährt man einfach nur geradeaus und es fahren solche Massen an Fahrrädern, dass es eine eigene Verkehrsgattung ist, aber kaum endet ein Radweg wegen einer Baustelle: Weltuntergang. Und so geht das mit allen, egal ob sie Hundebesitzer, Parkläufer oder einfach nur Spaziergänger sind, der Volkssport Nummer Eins heißt Berliner Schnauze oder das was davon übrig ist.

Glücklicherweise besteht die Stadt nicht nur aus Berlinern. Die werden ja auch immer weniger, was wiederum ein sehr guter Grund zum Meckern ist. Aber was bedeutet es eigentlich, Berliner zu sein? Bin ich, im zehnten Jahr meines Besuchs, nicht auch längst ein Berliner, auch wenn ich gar nicht meckern will? Sind die Zuwanderer, die hierher kommen und in dieser Stadt leben wollen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Sprache und Kultur nicht auch schon alle Berliner, sobald sie bleiben? Oder gilt das nur für deutsche, weiße, berlinernde Kackbratzen in der dritten Generation? Mir persönlich gefällt diese Stadt ja gerade deswegen, weil sie so bunt und unberechenbar ist. Weil an jeder Ecke gerade etwas neues auftaucht oder entsteht, mit dem man nicht gerechnet hat. Es ist einfach toll, von einem Stadtgrün ins nächste zu laufen oder zu radeln, an jedem Wochenende was neues kennenzulernen, mir in dieser Stadt die Welt zu machen, wie sie mir gefällt. Es gibt hier einfach viel mehr an Dingen, die Spaß machen, als man überhaupt Zeit dazu hätte. Da rege ich mich doch nicht drüber auf, dass mal eine S-Bahn ausfällt, sondern nutze die Zeit für mich selbst oder ich schaue mir halt den Kiez an, in dem ich gerade bin. Wenn ich freilich damit beschäftigt bin, zwischen Kotti und Panke fortwährend zu schalten, bremsen und wieder Gas zu geben, fehlt mir der Sinn für solche sinnfreien Momente und ich beginne die Minuten zu zählen, die ich zu spät komme, nur um zuhause auf der Couch zu sitzen.

Berlin inspiriert fortwährend, wenn man es auch sehen will. Aber dazu genügt es eben nicht, einfach nur zwischen Arbeit und Wohnung, Uni und WG-Zimmer zu pendeln. Die einzige Stadt Deutschlands, die sich aufgrund ihrer Fläche und Einwohnerzahl annähernd mit einer Weltstadt vergleichen darf, ist gerade wegen ihrer dörflichen Struktur mit den gut zwei Dutzend Kiez-Zentralen so vielfältig und sehenswert, dass es die sogenannten Alt-Berliner gar nicht mehr merken oder es vielleicht auch nie bemerkt haben. Es könnte sogar sein, dass man ein Zugezogener sein muss, um zu begreifen, was für ein Glück es ist, hier zu leben. Nirgendwo sonst, so scheint es mir jedenfalls, gibt es eine solche Palette von Farben, Stimmungen, Orten und Momenten, die man erfahren und begreifen kann. Man muss einfach nur die Augen offen halten. Oder sich für kleines Geld von A nach B fahren lassen. Es ist wie Kino. Ganz großes sogar.

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Liedern_%C3%BCber_Berlin

https://www.youtube.com/playlist?list=PL0585A4BE1A094BE1

https://www.qiez.de/berlin-songs-berliner-bands-beste-songs/

 

 

 

 

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2 Kommentare

  1. Eine wirklich schöne Liebeserklärung an die immer werdende Stadt Berlin.
    Wunderbar geschrieben und die Playlist ist erste Sahne.

  2. Lieber Klaus,

    ja, es gibt sie, diese besonderen Städte und Orte, die uns tief im Inneren anrühren und festhalten. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich gegenüber dem Neuen an jedem Ort zu öffnen und mit weiten Augen hinzusehen: Dann ist der Mensch fast schon zuhause. Es braucht nicht unbedingt eine große Stadt wie Berlin zu sein, denn auch im Kleinen existiert diese Vielfalt an Leben und Lebenswelten. Berlin ist schon irre faszinierend.

    Danke für diesen schönen Beitrag, übrigens uch stilistisch schön,

    Natascha (als regelmäßige Leserin Deiner wirklich schönen und dauerhaft befütterten Webseite – "dauerhaft": das muss man erstmal hinkriegen!) 

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