Worauf es ankommt

Es war ein schöner und sonniger Frühlingsmorgen. Ich gab ordentlich was rein von dem Schwarzen, rollte das Ding zu einem formschönen Trichter und schlurfte in aller Ruhe mit meinem Kaffeebecher und dem Joint zwischen den Lippen über den Flur rüber zum Schneemann, der nicht so hieß, weil er auf den Winter stand. Unsere Zimmer waren gerade groß genug, um sich ein Bett, einen Schrank und einen Tisch mit zwei Stühlen reinzustellen. Auf jeder der zehn Etagen des Wohnheims gab es eine Küche für alle, fünfzehn Zimmer und eine Reihe von Duschen und Klos, die erstaunlich sauber waren. Wir Zivis lernten eine Menge, denn jeder von uns war in einer anderen Sparte der Uniklinik eingesetzt. Der Campus war riesig. Es gab Häuser für allerlei Krankheiten. Ich arbeitete in der Anästhesie. Der Schneemann arbeitete in einem Labor, in dem es Blutkonserven für Stationen wie unsere gab, auf der wir klinisch Tote zum Überleben zwangen, weil ihre Organe noch brauchbar waren.

Wir feierten auch eine Menge. Außer uns zehn Zivis wohnten fast hundert Schwesternschülerinnen im Hochhaus und immer irgendwelche Gäste auf Zeit. An diesem schönen Tag heute, würden wir ihnen allen was bieten. Heute würden wir keine Blutkonserven schleppen. Heute war es an der Zeit, unser Wohnheim etwas aufzuhübschen. Ich nahm einen tiefen Zug aus dem Spliff und beriet die Sache mit dem Schneemann, der bereits im Blaumann am Tisch saß. Die Gerichtsmedizin war etwa zwei Kilometer entfernt, also war eine brauchbare Transportmöglichkeit angesagt. Das war seine Sache. Er blieb cool wie immer. Ich solle mir keine Sorgen machen, es sei alles geritzt. Diese Seite schätzte ich sehr an ihm. Wir schauten uns die Bilder an, die ich in der Woche zuvor von den Wänden im Leichenschauhaus gemacht hatte. Sie waren reichlich verwackelt, weil ich dreimal dabei gestört wurde. Denn jedes Mal, wenn ich abdrückte, lief jemand vorbei und fragte, ob er mir weiterhelfen könne. Es war also einiges an Personal unterwegs – wir mussten gut vorbereitet sein.

Für die große Feier am Abend wollten wir einen guten Geschmack beweisen. Darum wählten wir in aller Ruhe die besten Stücke auf meinen Fotos aus, verglichen sie miteinander und diskutierten die Vorzüge oder Nachteile. Ich brauchte ohnehin wie immer größere Mengen Kaffee, bevor ich in die Gänge kam, denn die Balance zwischen schwarzem Arabica und schwarzem Afghanen erforderte stets ein ausgiebiges und sorgfältiges Studium der Wechselwirkung. Wir besprachen noch kurz die Weltlage und bewegten den kompletten Kosmos, aber dann konnte es losgehen. Der Aufzug brachte uns in den Keller zur Werkstatt des Hausmeisters, der um diese Zeit ohnehin nie zu finden war, weil er es im Vor-der-Arbeit-Drücken zu wahrer Meisterschaft brachte. Von ihm konnte man noch viel lernen. Sein Arbeitsanzug lag wie vermutet schön säuberlich gefaltet im Spind. Ich streifte ihn mir über und schlug vor, zum authentischen Auftritt diverse Werkzeuge aus den Taschen der Blaumänner ragen zu lassen.

Vor der Tür zeigte mir der Schneemann die für den Job vorgesehene Transportmöglichkeit. „Ich fass‘ es nicht“, rief ich aus, „Du hast den Lieferwagen Deines Vaters besorgt? Bist du bescheuert?“. Er zeigte wenig Verständnis für meine Fragen. „Als dein Anwalt“, sagte er, „rate ich Dir zu Ruhe und Besonnenheit“. Zweifellos drohte die Sache zu platzen. Mit dem Ding waren wir wohl aufgeschmissen. „Wir fahren bei der forensischen Pathologie mit nem Wagen vor, auf dem FRISCHE FISCHE steht??“ Er dachte einen Moment angestrengt nach und man konnte sehen, wie sich das Bild in seinen Hirnzellen breitmachte. Als er damit fertig war, zog der den Klinikplan aus der Tasche und reichte ihn mir. „Die Mensa ist nebenan – alles gar kein Problem – bleib jetzt ganz locker“, sagte mein Anwalt mit beruhigender Stimme und erklärte damit alle Zweifel für ausgeräumt. Jetzt wurde es Zeit für unseren großen Coup.

Wir stellten die Fischkarre direkt vorm Haupteingang der Forensik ab und betraten routiniert im gelassenen Handwerkerschritt die heiligen Gänge. Da waren sie! Siebzehn Schautafeln, die den Herstellungsprozess jeder nur vorstellbaren Droge zeigten. Für jede einzelne Droge eine komplette Handlungsanleitung von A bis Z. Manche davon waren so detailliert, dass sie als Kochvorlage für Drogenküchen bestens geeignet waren. Die Tafeln waren klassifiziert nach Stoffklassen, Ursachen und Wirkung. Es wurde nach biogenen, halbsynthetischen und synthetischen Drogen unterschieden. Während die Halluzinogene weiter vorne hingen, ging es Richtung Treppenaufgang zum harten Stoff. Auf einer Tafel sah man Bauern, die Kokablätter ernten und am Schluss desselben Prozesses einen Freak mit Koksnase, der einen Berg Schnee runterschniefte. Allein dieses Bild war die ganze Mühe wert. Wir würden damit abends mächtig Eindruck schinden!

Also packten wir die riesigen, metergroßen Tafeln in aller Ruhe an und hoben sie von den Schraubhaken. Eine nach der anderen, alle der Reihe nach von der Wand runter, den Gang entlang, das Eingangstor raus, die Treppen runter und ab in die Fischkarre, die abartig nach Aal oder sowas stank. Als wir bei der dritten oder vierten Tafel waren, kam irgendwer in einem weißen Kittel vorbei, schaute sich das aus dem Augenwinkel an und war dann auch schon wieder weg. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. So ging das ein paar Mal. Das war der Moment, indem mir schlagartig klar wurde, worauf es im Leben ankommt. Wir hätten mit weißen Kitteln und „Dr. Seltsam“-Schildern vermutlich die Leichenkammer ausräumen und damit zum Fischhändler fahren können. Einer mit nem Namensschild grüßte uns und ein anderer sagte: „Na, das wird ja auch mal Zeit“. So trieben wir’s so um die zwanzig, dreißig Minuten, dann waren alle Tafeln drin. Ich war gerade beim Verschließen der Heckklappe, als die junge Frau neben mir auftauchte. Sie fragte sehr bestimmt, ob die Dinger ausgetauscht werden. Für einen kurzen Moment sah ich uns auf der Anklagebank des Amtsgerichts sitzen. „Als Dein Anwalt rate ich Dir, dazu nichts zu sagen“, rief mir der Schneemann zu. Ich schaute die Frau an. Es war eine skurrile und paradoxe Szene, aber die Antwort meines Anwalts schien sie seltsamer Weise zufrieden zu stellen.

Wir schaukelten die Anleitungen zur Herstellung einer beunruhigend großen Menge an Meskalin, Heroin, Ecstasy und jeder Menge anderer Uppers und Downers zurück zum Wohnheim. Beim Ausladen verteilten wir die Betäubungsmittel und Drogen nach unserer eigenen Sortierung. Wir staffierten damit das Foyer aus, unsere gesamte Wohnetage, die Küche, die Klos und das übrig gebliebene Amphetamin überließen wir dem Hausmeister. Es sah richtig gut aus an den Wänden. Ungefähr so, als ob es an jeder unserer Zimmertüren was anderes zu kaufen gab. Den Rest des Tages verbrachten wir mit dem ausgiebigen Studium der Drogeninfos, damit wir auf die Präsentation am Abend ausreichend vorbereitet waren. Jedenfalls konnte die Feier starten. Wir hatten unseren Teil dazu beigetragen. Jetzt waren die anderen dran.

 

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Gelesen am ersten Salonabend bei Thomas im Frühjahr 2017

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