Vom Verweilen des Augenblicks

Es war sinnlos, jetzt noch nach Hause zu laufen, als
der Regen in großen, schweren Strömen vom Himmel
platschte und ich war in wenigen Minuten klatschnass.
Ich zog meine Schuhe aus, weil sich das Holz barfuß
auf den Planken des alten Gleisbetts so angenehm
anfühlte, das Wasser klatschte nur so auf die Straße
daneben und ergab mit dem Staub und dem Asphalt
einen wundervollen Geruch nach Sommer, die Tropfen
liefen mir vom Haar über's Gesicht, als ich den
Regenbogen bewunderte, der sich am Horizont gegen
die Sonne abzeichnete. Ich war eins mit allem um mich
herum und obwohl ich noch Kind war, beschloss ich,
diesen Moment für die Ewigkeit auf die Festplatte zu
brennen und heute kann ich ihn noch nachfühlen.
 
Einige Jahre später spielten wir eine Runde Boule
mit diesen bunten, wassergefüllten Kugeln im
sehr grünen Gras. Alle waren wie berauscht vom
Grün und der Sonne und wir hatten Zeit für uns
und die Schönheit des Augenblicks, so breitete sich
das Glück in Form von Lachsalven über uns aus,
denn wir rissen die besten und albernsten Witze über
unsere Wurfkünste und ich musste mich so heftig vor
Lachen ausschütten, dass der ganze Körper eine große
Lachwelle wurde, aus der ich nicht mehr auftauchte,
und als ich mich endlich wieder umsah, ging es Mama
genau so und ich sah ihr an, wie glücklich sie darüber
war, dass es mir so gut ging. Darauf konzentrierte ich
mich, fror den Augenblick ein und erlebe ihn heute wieder.
 
Mit Neunzehn saß ich im Giardino Bardini und schaute
über die Dächer von Florenz und dann auf die Frau neben
mir, die friedlich im Gras schlief. Es kam mir so vor, als ob
uns jemand in einer Totalen von oben herab betrachtet
und mit dieser Distanz zog die Kamera auf und noch
bevor die Musik einsetzte, wurde mir bewusst, wie viel
Liebe und Leidenschaft mir noch begegnen wird, wie viele
Orte dieser Welt ich noch finde und wie oft mir welche
begegnen, ohne sie zu suchen. Ich begriff noch im selben
Moment des Gedankens, dass das eine reich angefüllte,
filmisch ästhetisch starke Szene war, die ich für die Ewigkeit
festhalten musste, um sie mit dem Drehbuch meines
Lebens zu vergleichen, atmete tief ein und schloss die
Farben, den Duft und das Glück für immer in mich ein.
 
In den Bergen der Sierra Nevada gab es dieses Hippiedorf
in der Nähe der Küste, voll mit wunderbar entspannten
und fröhlichen Menschen, die wussten, dass Denken die
härteste Art der Arbeit ist. Nach einer rauschhaften Nacht
schlief ich in einem ausrangierten Bus, der am Wegrand
stand, und als ich wieder nüchtern war, hob ich an der Straße
stehend den Daumen und eine Lady im Sommerkleid nahm
mich mit, ihre Rastazöpfe wehten aus dem Fenster ihres
alten Benz, den sie sanft den Hügel runter kurvte. Es fühlte
sich sehr nach Abenteuer an, denn ich wusste nicht, wohin
die Straße führte, aber in diesem Bild ihres hübschen
Haarschmucks im Wind war zugleich etwas Bleibendes, etwas
dauerhaft Verweilendes und ich löste aus, weil ich irgendwann
wissen wollte, ob diese Abenteuer Teil meines Lebens bleiben.
 
Es war eine warme, schwüle Sommernacht und es war unser
erstes Mal. Etwa genau zu dem Zeitpunkt, als die Vögel damit
anfingen, sich lautstark zu unterhalten, schachtelte ich mich aus
ihrer Umarmung heraus und öffnete die Balkontür. Sie schlief
noch sehr fest und ich sah mir diesen wunderschönen Körper
genau an. Dann schlich ich nach draußen, setzte mich nackt
auf den Stuhl und steckte mir eine an, hörte den Vögeln beim
Schwatzen zu und betrachtete das satte, voll von Saft und Energie
strotzende, regengetränkte Grün da draußen. Das fühlte sich
sehr männlich und sehr stark an, alles in mir war zufrieden, denn
ich hatte es drauf, aber um mir ganz sicher zu sein, musste
ich es vergleichen können, so suchte ich mir einen passenden
Rahmen aus, gab das Bild in Auftrag und hängte es zu den
vorigen, die ich heute mit den Empfindungen von damals vergleiche.

Wir checkten nachmittags ein auf dem Weg nach Afrika und
nach einer Weile tauchte auf dem Fährschiff, auf dem wir
übersetzten, am Horizont die Küste Marokkos auf. Es war
ein magischer und überwältigender Moment, den fremden
Kontinent wie in Zeitlupe wachsen zu sehen. Ich musste an
Legionen von Seefahrern denken, deren Sehnsucht mit jeder
Meile wuchs oder an all die Übersiedler aus vergangenen
Zeiten auf dem Weg in ein neues Leben, die genauso wenig
wie wir wussten, was sie erwartet. Der Himmel war blau, keine
Wolke weit und  breit und links und rechts vom Boot sprangen
die Delfine hoch, um mich drauf aufmerksam zu machen, dass es
Zeit für ein Foto war. Ich weiß nicht mehr, ob ich ganz vorne
an der Reling stand und zögerte einen Moment zu lange und so
blieb das Bild etwas unscharf.

 

 

 

 

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Bildquelle: Wikimedia Commons

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