Milchglas

Achtundvierzig Schüler in der ersten
Klasse und einer hat die Augen zu beim
Einschulungsfoto, ratet mal wer.
Keine Ahnung, was das mit der 
Schule auf sich hatte und warum
wir überhaupt dort antreten sollten.

Anscheinend waren alle aus dem gleichen
Grund hier, aber wenn ich den neben mir
fragte, wusste der auch nicht, warum.
Ich lebte in der ständigen Hoffnung, dass
eines Tages jemand in den Unterrichtsraum
kommt und den Irrtum zugibt.

Die meisten Jungs lärmten in der Pause wie die
Wilden auf dem Schulhof umher, prügelten sich
oder spielten Verfolgungsjagden.
Ich stand alleine mit meinem Schulbrot rum und
wusste nicht so recht, was ich tun sollte oder
schaute den Mädchen bei ihren Hüpfspielen zu.

Es klingelte zwei Mal am Ende der Pause und
beim ersten Mal stellten wir uns Hand in Hand
zu zweit auf, dann ging es auf Kommando zurück.
Es fühlte sich permanent wie ein Straflager an,
in dem wir gezwungen werden, anwesend zu
sein, ohne dass es irgendeinen Sinn ergibt.

Morgens sammelten wir uns, bis die
Lehrerin in den Raum kam und dann verstummten
alle, während sie unsere Namen einzeln aufrief.
Wir antworteten mit "ja" oder "hier", aber
manchmal antwortete auch niemand und ich
dachte jedes Mal, der hat es richtig gemacht.

Ich langweilte mich, wenn wir lernten wie man
rechnet und schreibt, aber wenn es ums Reden
ging, wurde ich wach und die anderen still.
Es machte mir Spaß, herauszufinden, was wir
besser als die Lehrerin wussten, doch keiner
half mir, ich war immer auf mich allein gestellt.

Ich betrat zum ersten Mal eine Kirche, als
wir im Religionsunterricht zum Beten geschickt
wurden, weil sie fromme Katholiken waren. 
Alle murmelten vor sich hin und sprachen seltsame
Sachen aus und ich starrte auf das riesige Gewölbe
der Gemäuer da oben und fürchtete mich.

In meinen Zeugnissen standen ständig solche
Sachen, die nach Verweigerung klangen, aber
ich verstand nicht, warum das schlimm sein sollte.
Was ich so aufschnappte während der seltenen
Wachphasen reichte aus, um durchschnittlich
abzuschneiden, also machte ich weiter so.

Es fühlte sich vier lange Jahre so an, als ob
man mir die Kindheit raubt, indem wir gemeinsam
ins Klassenzimmer eingeschlossen wurden.
Die ganze Zeit über hatte ich damit gerechnet,
das auszusitzen, um danach endlich frei zu sein,
aber dann sollte es auch noch so weitergehen!

Geduld wird einfach nie belohnt.

 

 

 

 

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