Job Nr. 23

Ich hatte die Schnauze allmählich voll. Seitdem ich mich als „Produktetester“ anwerben ließ, stellte ich mir vor, dass man mir kistenweise irgendwelches Konsumgut zur Verfügung stellt und ich anschließend damit angeben kann, welches Bier am besten schmeckt oder welches Ritalin am meisten dröhnt. Stattdessen füllte ich Fragebögen aus, deren Inhalt es war, ob mir die Verkäuferin einen schönen Tag wünschte oder ob der Filialleiter anhand der Beschriftung seiner Kutte erkennbar gewesen sei. Die Anweisungen kamen per Mail. Besuchen Sie den Supermarkt, hieß es. Schauen Sie sich das Aktionsregal an, beschreiben Sie die Reihenfolge der angebotenen Waren. Sind die Waschmittel der Firma XY in der Mitte des Regals platziert? Ist das Angebot der Woche im extra Display daneben? Ist ersichtlich, dass die Artikel den Wochenprospekt widerspiegeln? Sind alle Warenfächer aufgefüllt? Gehen Sie zum Angebot des Kaffeerösters. Ist ersichtlich, dass es sich um die im Werbeblatt angekündigte Frühjahrs-Aktionswoche handelt? Sind alle beworbenen Artikel verfügbar? Wo genau innerhalb der Verkaufsfläche befindet sich der Stand? Ist er ordentlich abgegrenzt vom übrigen Verkauf des Ladens? Kaufen Sie beim Rausgehen an der Bäckertheke eine Puddingschnecke. Wurde Ihnen von der Verkäuferin ein Getränk dazu angeboten? Wurden Sie auf das Brot der Woche hingewiesen?

Ein mächtiger, durchplanter und unfassbarer Kontrollapparat des globalen Kapitalismus, der darauf abzielte, dass irgendwer mit meiner Nachhilfe seinen Job verlor oder weiter arbeiten durfte. Weil die Bäckereiverkäuferin vergaß, „möchten Sie einen Kaffee zu Ihrer Zuckerpampe?“, zu fragen. Oder weil irgendein armes Schwein zwischen ständiger Aushilfe an Kasse Drei und zehnfachem Ruf an den defekten Leergutautomaten die Waschmittel nicht schnell genug nachfüllen konnte. Wir haben uns nicht gegen die Volkszählung gewehrt und gegen die Stasi rebelliert, um uns heute freiwillig zu versklaven, dachte ich. Also trug ich überall die Höchstpunktzahl ein, ganz egal wen ich besuchte.

Dann kam der letzte Auftrag, den ich annahm. Ich sollte ins Autohaus und einen bestimmten Berater suchen, den ich mir vorher auf der Internetseite des Konzerns ansah. Er tat mir schon leid, bevor ich die Lügengeschichte präsentierte. Das Bild sah nach Staubsaugervertreter aus und danach, dass dies sein letzter Job vor der Rente sein sollte. Das Ziel war, ihn zu überreden, den Wagen im Showroom mit 'ner anderen Lackierung, 'nem anderen Getriebe und einem Schiebedach zu verkaufen, aber bei der Finanzierung mehr Zeit anzubieten. Die Misere, in den ich ihn damit brachte, war die geplante Schikane des Headquarters. Die Autos waren so zu verkaufen, wie sie dort standen. Alles andere gab weniger Provision. Außerdem sollte er mir den Kredit zu festgelegten Konditionen der Bank verkaufen, die den gleichen Namen des Autoherstellers trug. Es war ein abgekartetes Spiel und er würde als Verlierer feststehen, noch bevor es begann.

Ich betrat den riesigen, hell erleuchteten Raum und fand ihn mit seiner beachtlichen Halbglatze, dem schlecht sitzenden Anzug und vornüber gebeugt an seinem Schreibtisch, mit irgendwelchen Zahlen im Rechner beschäftigt. Der Mann sah gleichgültig aus. Und noch bevor ich seine Aufmerksamkeit auf mein geheucheltes Interesse lenken konnte, sprangen zwei jüngere Verkäufer bei und fragten, ob mich die Karre interessiert. Ich wimmelte sie ab. Wahrscheinlich studierte mein Zielsubjekt die Verkaufszahlen und resignierte gerade beim Studium derselben, erwartete aber genau das. Er sah so unglücklich aus, dass ich ihm auf der Stelle einen Wagen abgekauft hätte, nur damit es ihm besser geht. Dieser Mann da hatte das Glück zuletzt begrüßt, als ihm Mama Kartoffelsuppe kochte. Ich ging direkt zu ihm hin. „Der Wagen da vorne, kann ich den in blau mit Schaltgetriebe und Sonnendach bestellen“? Er schaute mich von seinem Sessel aus an und seufzte hörbar tief durch, bevor er antwortete. Dann begann er mit seinem Verkäufersalm und er war nicht gut darin. Es lief seiner Meinung nach im Großen und Ganzen darauf hinaus, dass die Karre in genau dieser Ausstattung das Beste sei, was je auf vier Rädern daher kam. Ich sah ihn an und senkte den Blick vor Scham. Die Schnürsenkel seines rechten Schuhs waren offen. „Ich weiß nicht“, sagte ich, öffnete die Tür und setzte mich hinters Steuer. „Er kostet eine ganze Ecke mehr und so viel hab' ich nicht auf der Seite.“ Er schleppte sich auf die andere Seite und klemmte sich mühsam auf den Beifahrersitz. Ich starrte auf seine Schuhe. Dann schloss ich die Tür, forderte ihn gleichfalls dazu auf und erzählte ihm dann die Wahrheit über meinen Auftrag, weil ich es nicht mehr ertrug, ihn weiter zu bescheißen.

Ich weiß“, sagte er. „Sie versuchen es immer wieder. Bei manchen öfter, bei manchen seltener. Bei mir öfter.“ Ich schaute ihn an um zu prüfen, ob er witzig sein wollte. Er wollte es nicht. Er saß da nur einfach, stierte geradeaus und wusste, dass er zu einem Opfer des Systems wurde, ohne dass er es wollte oder dass er es beeinflussen konnte. Dann blickten wir beide über das Armaturenbrett in den großen, glänzenden Verkaufsraum hinein, wo ein arabisch aussehender junger Mann mühsam damit beschäftigt war, die Stoßstange eines Fünfzigtausend-Euro-Wagens zu polieren. Wir hatten alle drei die Schnauze voll.

 

 

 

 

*************

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert