Die Saat der Gewalt

Bild: wikimedia commons

Ein Blick zurück – im Zorn (anlässlich des G20 Gipfels)

Dezember 1985. Die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf (WAA) sollte abgebrannte Kernstäbe aus den Kernreaktoren Deutschlands recyceln. Die anderen Standorte in der BRD waren bereits am Widerstand der Bevölkerung gescheitert, selbst der erzkonservative Ernst Albrecht (der Vater von Flinten-Uschi) warf die Flinte ins Korn, da kam der heilige Franz-Josef aus Bayern und rettete das Konzernkapital. In der Nähe des kleinen oberpfälzischen Dorfs holzte die Staatsmacht den angrenzenden Forst kurz und klein, während eine Bürgerinitiative nach der anderen verprügelt wurde. Die mit äußerster Härte vorgehenden Polizisten setzten gegen friedlich demonstrierende Bürger, die in erster Linie ihren Wald retten wollten, Schlagstöcke und Wasserwerfer ein, kesselten den Protest ein, rissen Hütten mit Bulldozern nieder, sprühten Tränengas auf die Menge und kerkerten in ihre Wannen ein, wen sie zu fassen kriegten. "Die freie Republik Wackerland", ein Hüttendorf aus etwa 150 Zelten und Holzverschlägen nach dem Vorbild der "Freien Republik Wendland" wurde ohne Warnung mit roher Gewalt plattgewalzt. Ich weiß es, denn ich war dabei.

Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie Gruppen von sieben, acht Polizisten einzelne Demonstranten herausgriffen und sie mit Stöcken, Fäusten und Tritten traktierte. Es war wie in einem Horrorfilm. Die Angriffe dauerten den ganzen Tag über an. Eben erst waren wir aus unseren Zelten gekrochen, die ersten Bob Marley-Songs waberten über das Gelände, die Leute versammelten sich um die Restglut der Lagerfeuer aus der vergangenen Nacht und wärmten ihre Botten. Das ganze Lager strahlte eine friedvolle, zuversichtliche, gemeinschaftliche Aura aus und dann war plötzlich Krieg. Links und rechts von mir blutende und schreiende Menschen, mit denen ich am Abend zuvor noch Lieder gegen den Krieg gesungen hatte, orientierungslos durchs Unterholz auf der Flucht vor rasend gewordenen Uniformierten – wie in einem Polizeistaat regelrecht verprügelt und anschließend erkennungsdienstlich behandelt. Und das alles nur, weil sie sich gegen die Energieform der Kernkraft wehrten.

Bei der Ostermontagsdemo im Frühjahr 1986 waren es bereits über 100.000 Menschen, die mit ihrem friedlichen Marsch ein deutliches Ausrufezeichen setzten. Dieser Zug wurde damals aufgrund der Vorfälle aus dem Protestdorf von allen verfügbaren Medien mit Dutzenden von Kameras begleitet. Die Menge war einfach zu gewaltig, um sie platt zu machen. Das ist aber bis heute meine einzige Erklärung dafür, dass es weniger als einhundert Verletzte gab. Wieder griffen sie sich aus unserer Menge scheinbar wahllos Protestler raus und attackierten sie. Am Ende des Zugs kam es zu einem massiven Einsatz von hochkonzentriertem CS-Gas, in dessen Auswirkung einer der Teilnehmer aufgrund einer asthmatischen Vorbelastung an der Folge dieses Angriffs starb.

Es war der nachweislich vierte Tote, der wegen der unfassbar, geradezu militaristischen Konfrontation rund um die WAA sein Leben lassen musste. Daraufhin sicherte der Freistaat die Baustelle mit einem für damalige Verhältnisse unvorstellbar hohen finanziellen Einsatz von 15 Millionen Mark mit einem stählernen Zaun. Die darauf folgende Pfingstdemonstration eskalierte dann vollends. Auf beiden Seiten waren es mehr als 600 Verletzte und wenn man sich vor Augen führt, dass die Demonstrierenden aus der Luft(!) von Hubschraubern aus mit Gaskartuschen bombardiert wurden und die Polizei aus fast 50 Wasserwerfern mit Reizgas vermischtes Wasser auf die Demonstranten schoss, ist es kaum zu glauben, dass es dabei keine Toten gab. Es waren Schlachtszenen riesigen Ausmaßes.

Der Widerstand Hunderttausender setzte sich noch drei weitere Jahre fort und immer wieder kam es zur Auseinandersetzungen mit Waffengewalt, in denen sich die Haudrauf-Strategie das bayrischen Freistaats fortsetzte. Heinrich Lummer, der hier in Berlin als Innenminister mit kriegsähnlichen Szenen die besetzten Häuser räumen ließ und Ehrenpräsident der als rechtsextrem eingestuften Vereinigung "Deutsche Konservative" wurde (!) unterstützte seine Polizeikollegen in Bayern mit einer Spezialeinheit 1987 , die in einer noch nie da gewesenen Brutalität in der damals so genannten "Knüppelorgie" auf die friedlichen Demonstranten einschlug. Das Ausmaß der Brutalität veranlasste den Regensburger Polizeipräsidenten, Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft gegen die Polizeieinheit einzuleiten.

Als Wende im Entscheidungsprozess gilt das Anti W(AAA)hnsinns-Konzert im Juli 86, zu dem mit 25.000 Besuchern geplant wurde und mehr als 100.000 kamen. Es war das bis dahin größte, deutsche Open-Air und wurde schnell auch als deutsches "Woodstock" benannt. Ich erinnere mich daran, dass die Besucher bis zum Horizont zu sehen waren und der ganze große Riesenacker mit einer Kolonne von rund 100 Polizeifahrzeugen eingekreist wurde. Ich bin bis heute dankbar und auch stolz darauf, Teil dieser Bewegung gewesen zu sein und ebenso froh, dass diese bedrohliche und heikle Szenerie nicht eskalierte. 1989, nachdem das irrsinnige Projekt, eine atomare Wiederaufbereitungsanlage gegen den Willen des Volkes zu bauen, 10 Milliarden Mark an Steuergeldern gekostet hatte, wurde es eingestellt – weil der künftige Betreiber es einsah, nicht etwa, weil man in Bayern zur Vernunft gekommen war.

Wenn wir also heute auf die unverständliche Gewalt der G20-Gegner blicken und die nicht nachvollziehen können, dann lohnt sich sicher auch mal ein Blick zurück, wie die Staatsgewalt in früheren Zeiten auf uns eindrosch. Viele, die heute in Hamburg keine andere Sprache als die Gewalt kennen, sind die Nachfahren derer, die vor dreißig Jahren in völliger Wehrlosigkeit Gewalt durch den Staat erfahren haben.

 

 

 

 

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