Wünsch Dir was

(Bild von Pete Linforth auf Pixabay)

Dies ist eine wahre Geschichte.

Es waren wieder mal harte Zeiten. Berlin gab jede Menge Spaß her, aber wenig Kohle und der letzte Job stellte sich als absolute Pleite raus. Sie sagten mir, ich könnte Wohnungen verkaufen und damit reich werden, aber was sich nach leichtem Geld anhörte, war fürchterlich anstrengend und brachte überhaupt nichts ein. Was ich jetzt noch übrig hatte, ging langsam zur Neige und es sah nicht gut aus. Es gab einfach keine Perspektive, außer der Stadt selbst. Berlin hatte ein großes Herz für Typen wie mich. Ich besorgte mir einen Sozialpass und kaufte damit Theater- und Operntickets zu drei Euro, sah mir die Stadt umsonst an und streifte durch alle Bibliotheken. Sich umzusehen kostete fast gar nichts. Auch die Nächte waren immer gut zu mir. Für alles andere war zu wenig Knete und auf Dauer war irgendwie klar: Jetzt geht’s bergab. Ich nahm kleine Jobs an, wie ich das immer tat, wenn es knapp wurde. Einer davon führte mich zur BSR und ich sah mir den Typen am Eingang vom Wertstoffhof an und dachte mir: So ’nen Job willst du auch haben! Er saß in seinem Campingstuhl, wartete bis die Autofahrer ihre Fenster runter kurbelten und dirigierte sie dann zu den einzelnen Containern, damit sie ihr Zeugs dort rein schmeißen. Sie bezahlten ihn fürs Sitzen.

Eines Tages entdeckte ich im Antiquariat ein Buch mit dem Titel „Erfolgreich wünschen“. Das Universum hilft dir, stand da. Darin las ich, dass ich meine Wünsche manifestieren und auch senden kann, indem ich sie aufschreibe und einfach fest daran glauben soll. Zuerst dachte ich, der Typ will mich wohl verarschen. Aber das hatte er natürlich vorher gesehen und beschrieb auch, wie man das so anstellt mit dem dran glauben – und dann würden sie mir auch erfüllt, die Wünsche. Das stand da so drin. Und da ich sowieso gerade nichts anderes zu tun hatte, fing ich damit an und schrieb mir ein paar echt gute Sachen auf. Es dauerte eine Weile, aber ich merkte mit der Zeit, wie man es am besten anstellt und übte damit, mir kleine und einfache Dinge zu wünschen. Zum Beispiel, dass ich heute im Doppeldecker den ersten Platz oben in der Reihe kriege oder auf dem Flohmarkt genau diese eine fehlende LP von den Stones finde. Und das klappte dann auch alles. Später begann ich damit, meine geheime Kraft dafür zu nutzen, als Beifahrer für freie Parkplätze zu sorgen oder für leere Schlangen an den Kassen im Supermarkt. Ich sorgte für Restkarten in meinen Lieblingsopern, für Sonderangebote, für freie Drinks und überraschende Begegnungen – all das schien gar kein Problem zu sein. Dann fiel mir der Typ ein, den ich beim Wertstoffhof gesehen hatte. Ich schrieb mir eine Wunscharbeit mit 35 Stunden Arbeitswoche, dreitausend Öcken, öffentlichem Dienst und 30 Tagen Urlaub auf. Ich schrieb gleich mehrere Versionen davon, bis ich mit einer vollends zufrieden war und dann las ich mir die selbst vor, jeden Tag einmal. Und siehe – es wurde gut. Ein paar Wochen später rief mich eine quäkende Stimme vom Amt an. Sie habe meine Bewerbung gelesen. Der Job sei schon weg, aber mein Lebenslauf sähe danach aus, dass ich befristet was anderes machen könnte. Und zwar für dreitausend Öcken, 35 Stunden Arbeitswoche und mit 30 Tagen Urlaub im öffentlichen Dienst. Okay, sagte ich.

Und so wurde ich Wohnungs- und Grundstücksverwalter. Ich konnte es selbst kaum fassen. An das mit der Befristung hatte ich nicht gedacht. Aber erstens half mir ein dreißig Jahre alter Ausbildungsschein, den ich noch nie gebraucht hatte und zweitens dieser gut formulierte Wunsch ans Universum. Ich hängte mich voll in die Arbeit rein und hatte großen Spaß daran, Mietverträge abzuschließen, Grundstücke und Häuser zu bewirtschaften und mir das ganze Dorf anzusehen, denn das war der zweite kleine Haken am erfüllten Wunsch: Ich hatte nicht geschrieben, wo genau ich arbeiten will. Das war ganz schön weit weg. Aber das Monatsende war dennoch das totale Highlight. Ich sanierte meine Finanzen vom ersten Gehalt an und jetzt wurde es wohl Zeit für den nächsten Wunsch. Ich brauchte eine Wohnung in der Nähe. Und die musste finanzierbar sein, was in Berlin nicht selbstverständlich war. Es gab immer noch mehr Wohnungen als heute, aber sich einfach eine aussuchen, das war vorbei. Wird wohl wieder Zeit für einen präzisen Wunsch, sagte ich mir. Ich kam mir selbst etwas bescheuert dabei vor, das könnt Ihr mir glauben! Aber weil ich aus dem Ergebnis der ersten Erfüllung gelernt hatte, schrieb ich alles exakt so auf, wie es sein sollte: Sechzig bis achtzig Quadratmeter, mindestens zwei Zimmer, im Radius von höchstens fünf Kilometern zur Arbeit, gute Anbindung an die BVG, saniert und höchstens 500 Öcken kalt.

In den ersten Wochen dachte ich, jetzt hätte ich es übertrieben. Weit und breit gab das keine Anzeige her. Einmal hatte ich 700 kalt im Angebot, aber das war sie einfach nicht, die Wohnung. Im Buch versicherte ich mich nochmals, dass ich alles genau richtig gemacht hatte mit dem Wünschen. Ich nahm noch ein paar kleine Verbesserungen vor und las mir das wieder vor, jeden einzelnen Tag. Zwei Wochen später lief ich an einem Aushang einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft vorbei und dort stand genau das, was ich suchte. Ich ging hin, legte mein Zeugs vor und bekam die Bude. Jetzt wohnte ich erstmals in einem Hochhaus, neunte Etage, mit Balkon und Blick über den Norden Berlins, Haltestelle und Ubahn vor der Tür und fünf Kilometern Radweg bis zur Arbeit. Ich weiß, dass Ihr jetzt denkt: Jetzt will der uns aber verarschen. Nein, es war genau so. Und ich verbrachte mehrere gute Jahre mit dieser Arbeit und in dieser Wohnung, wünschte mir noch dies und das, aber achtete darauf, es nicht zu übertreiben. Je unrealistischer der Wunsch wäre, desto schwieriger würde er auch in Erfüllung gehen – das wusste ich inzwischen. Irgendwann war Schluss mit dem Job und ich wünschte mir einfach einen neuen. Ich war auch schon viel zu lange dort. Meine durchschnittliche Arbeitszeit von zwei Jahren war längst überschritten, aber ich erinnerte mich natürlich dankbar daran, wie es mit Arbeit und Wohnung beim letzten Mal funktionierte und setzte das gleiche Prinzip nochmal um. Und es funktionierte schon wieder. Dieses Mal zentraler, für mehr Geld und mit einer noch günstigeren Wohnung, obwohl bei jeder Wohnungsbesichtigung schon fünfzig andere vor der Tür standen.

Warum wünschst du dir nicht, Millionär zu sein, fragten mich meine Freunde spöttisch. Aber so läuft das nicht. Zwar wäre ich irgendwann an der Reihe, aber erstens ist mir das zu anstrengend und zweitens brauche ich es auch gar nicht. Was ich brauche, ist größtmögliche Zufriedenheit mit dem kleinstmöglichen Aufwand. Später wagte ich mich auch an kompliziertere Konstruktionen, zum Beispiel an die Sache mit der Liebe. Mit Erfolg übrigens.
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