For those about to rock

(Bild: Grey59  / pixelio.de) Ich hab in meinem Leben noch nicht genug Konzerte gesehen, um sie miteinander zu verwechseln oder um zu abgebrüht zu sein, darüber zu erzählen. Ich hab aber auch genug Konzerte gesehen, um zu wissen, warum mich was mitgerissen hat oder nicht und ich möchte Euch meine fünf Favoriten vorstellen. Sie sind auf meiner Festplatte gespeichert und ich trage sie jetzt schon so lange mit mir rum – und wenn ich davon nicht hier erzählen sollte; wo sonst?

Platz Nr. 5: "Sting" in der alten Oper Frankfurt. Es war 1986. Etwa ein Jahr nach der Veröffentlichung des fantastischen, ersten Studioalbums "The Dream of the Blue Turtles" und etwa zur gleichen Zeit, als der begleitende Dokumentarfilm zum Live Album "Bring on the Night" in die Kinos kam, rund zwei Jahre nach der Trennung von "The Police". Das erste Studioalbum hatte etwas Zauberhaftes, denn es vereinte die wunderbare Erzähltechnik des Sängers mit der Kunst einiger Ausnahmemusiker, die schon allesamt für sich genommen Meister ihres Fachs waren, aber in Europa und Amerika (wir reden von einer Zeit ohne YouTube, Smartphone und Facebook), keine Stars waren, weil keine riesige Promotion-Maschine dahinter stand und sie selbst auch nicht die Möglichkeit hatten, sich zu produzieren. Jedes einzelne Stück des ersten Studioalbums war auf seine Weise perfekt gelungen, also war Mitsingen garantiert. Sting war bereits im zweiten Jahr damit auf Tour und streute bereits erste Titel des folgenden Werks "Nothing like the sun" ein, darunter auch "English Man in New York", als letztes Stück der zweiten Zugabe. Und wer schon mal in der alten Oper war, der weiß wie es da drinnen klingt. Ein perfektes Album mit perfekten Musikern in einer perfekten Konzerthalle – was will man mehr? Zum Schluss standen die Leute auf den Stühlen, das Licht runtergedimmt und der ganze Saal sang den Refrain "Be yourself – no matter what they say". Diese Szene hat mich so intensiv erfasst und berührt, dass ich es heute noch nachfühlen kann. Und ich höre den ganzen Saal noch heute singen. Minutenlang. Längst nachdem die Musiker von der Bühne waren. Es war aufregend, es war einzigartig, es war fantastisch.


Platz Nr 4: Linton Kwesi Johnson – irgendwo in Trier 89. Ich gebe zu, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wo genau in Trier das Konzert eigentlich war. Es war eine mittelkleine Halle, in die bestenfalls 500 Leute passten, aber vielleicht waren es nur 150 Besucher an diesem Abend, aber genau das machte es aus! Es gab keine 30 Fußmeter einen Ausschank mit 'nem leckeren Fassbier und man schaffte es bequem, zwischen zwei Titeln rüberzuschaukeln und sich den Becher nachzufüllen. Und ich fand es sehr angenehm, den Bierbecher beim Tanzen nicht abstellen zu müssen. Man tanzte sich an die Bühne und wieder zurück, das Bier schmeckte und (wir reden von einer Zeit ohne Rauchverbot) es waberten dicke Schwaden von feinstem Haschischdampf durch die Halle, an deren Produktion ich mich ab und an beteiligte. Die Sensation selbst aber war der Maestro. Wer je Linton Kwesi Johnson vom Studioalbum her gehört hat – und das werden die Reggae Fans unter Euch sein – der erwartet schon rein von der Stimme her einen Zwei-Meter-Body-Builder-Schrank, der die Röhre rockt. Und ich sage Euch, ich hab noch nie einen kleineren, zierlicheren und unscheinbareren Musiker gesehen. Die Erscheinung von Linton ist genau gegensätzlich zu dem, was aus ihm raus kommtUnd er "packt" einen, er zieht einen mit, er tanzt und rockt und rollt einen und es gibt einfach kein Entrinnen, es ist ein einziger Sog, den diese Bass-Stimme auslöst und ich ließ mich gerne reinziehen – volle zwei Stunden intensiver Reggae. Aber ich gebe zu, das Bier hat auch geschmeckt.

 


Platz Nr 3: BAP in der Uni Aula Saarbrücken 1982. Man mag zu BAP stehen wie man will und ich weiß, dass es vielen meiner Generation gar nicht gefallen hat, was die Kölschen da machen, nämlich in ihrer ganz eigenen Sprache zu rocken. Auf alle Fälle halte ich Niedecken für einen der größten Musiker, die Deutschland je hervorgebracht hat. Seine Texte sind einzigartig gut und seine Nähe zu Dylan macht ihn für mich nur noch sympathischer, als er mir ohnehin ist. Nun bestand die Band nicht nur aus ihm, sondern aus weiteren fünf "Verrückten", für die das Musikmachen wichtiger war, als alles andere und die alles, aber einfach alles gaben, wenn das Publikum sie forderte und die es glücklich machte, wenn sie das Publikum mit auf ihren Trip nahmen: Steve Borg, Klaus Heuser, Wolfgang und Manfred Boecker, sowie Alexander Büchel hießen die Bandmitglieder, die damals gemeinsam mit Niedecken drei-ein-halb Stunden den Saal rockten. Dreieinhalb! Schon allein deswegen gehört dieses Konzert zu meinen Big Five. Ich hatte das Gefühl, dass die Jungs es verstanden hatten: Wir, das Publikum, hatten einfach das Recht auf diese Party. Wir waren enthusiastisch, wir waren tanzwütig, wir wollten, dass diese Nacht unsere ist und BAP gab uns, wonach wir verlangten – bis wir genug hatten. Und das war nunmal erst nach dreieinhalb Stunden. Ich erinnere mich, noch eine Stunde später mit Freunden vor der Bühne glücklich erschöpft dem Erlebten nachzufühlen. Dankbar für das, was wir gerade erlebt hatten.

 

 


Platz Nr 2: Konstantin Wecker. Nur er am Klavier. Ansonsten hatte das Konzert nichts, was es irgendwie als "Konzert" auszeichnen würde. Keine Lightshow, keine Verstärker, kein Mischpult, nicht mal ein Mikro! Ein Abend, seitdem das ehemalige Motorenmagazin der Burbacher Hüttenwerke in Saarbrücken den Namen des Künstlers trägt. Die Weckerhalle! Ein 1904 errichteter, roter Backsteinbau mit Rundbögen und romanisierender Wandgliederung wurde zum Stein gewordenen Manifest des Liedermachers. Der Abend wurde von den Jusos organisiert, die Karten zu 15 DM waren aber frei erhältlich. Die kleine, höchstens 100 Zuschauer fassende Halle wurde mit Bierbänken ausgestattet. Es gab keine Bühne. Das Klavier stand da, ein Stuhl davor, und das war auch schon alles. Wecker kam rein, grüßte kurz in die Runde und legte los. Über zwei Stunden, wobei er nach einer halben Stunde begann, die entkorkte Weißweinflasche auf dem Flügel zügig zu leeren und dann Nachschub bestellte. Gegen Ende gingen ihm die eigenen Texte aus, aber wir kannten sie ja ohnehin und sangen sie zu seiner Begleitung. Als die zweite Flasche sich zu Ende neigte, riefen wir unsere Musik-Wünsche einfach nach vorne – und er spielte sie. Ein unvergesslicher Abend.

 

 


Platz Nr 1: Herman Brood and his Wild Romance in Dragans Waldcafe, Dudweiler. Der unfassbar vielfältige Herman, der neben Blues- und Rockmusik vor allem ein röhrig starker Punker, sowie Maler mit eigenen Kunstausstellungen war, kam mit seiner Band in diese kleine, ehemalige Turnhalle, in der wir neben ihm auch andere Rockgrößen wie Bo Diddley und Uriah Heep sahen. Wie der Wirt der angrenzenden Kneipe das geschafft hat, ist mir bis heute ein Rätsel. Der Holländer Herman Brood, der mit Nina Hagen und Lene Lovich tourte und übrigens auch der Vater von Hagens Tochter Cosma ist, bot uns als Konzert quasi das Gegenteil des BAP Konzerts unter Nr. 3 , denn er schaffte es nur auf etwa 75 Minuten. Aber das waren die intensivsten 75 Minuten meines Lebens. Vollgas von der ersten Sekunde an! Nach nur drei Minuten standen wir alle klitschnass im Hemd, aber Herman kannte überhaupt keine Pause. Kaum endete ein Stück, schloss sich schon das nächste an: Punk – Sekunde Stopp – Punk – Sekunde Stopp – Punk. Keine Zeit zum Verschnaufen. Intensiv und mit Höchstgeschwindigkeit brachte uns die Show regelrecht an den Rand des Wahnsinns. Noch nie hatte mich etwas derart geschafft, wie diese 75 Minuten, an deren Ende ich das Gefühl hatte, dass es mir jemand wirklich besorgt hatte, wie ich das vorher nicht für möglich hielt. Brood selbst brachte es leider nur auf 55 Jahre Lebenszeit, was freilich neben dieser Intensität auch dem Heroin zuzuschreiben war, auf dem er ein Leben lang "sitzen blieb". So wie sein Leben, war auch dieses eine Konzert. Schnell. Kraftvoll. Kurz. Und anstrengender als Leistungssport.

 

 

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2 Kommentare

  1. Danke für den Kommentar, Paul. Es könnte freilich auch sein, dass ich mich im Jahr irre, aber 2000 war es nicht, es war definitiv viel früher. Es ging auch nicht in einen Keller, sondern meiner Erinnerung nach in eine umgebaute Turnhalle, also einige Stufen rauf. Gegenüber des Eingangs gab es eine Theke, zum Konzert rechts rum in die Halle… Ich war einfach so was von stoned und besoffen… Weiß es leider nicht mehr besser.

  2. LHabe Lnton Kwesi Johnson mit der Dennis Bovell Dub Band 2000 in der BBS-Aula in Trier gesehen, dürften wohl die einzigen beiden Auftritte in TR gewesen sein. 1989 war er u.a.auch in Gdansk(Danzig),Polen um sich die „Solidarnosc“ -Bewegung mal vor Ort anzuschauen , würde mich mal interessieren ob das vor oder nach dem Auftritt in Trier war. Und in welcher Lokalität das ’89 denn gewesen sein mag…wenn’s kleiner und neuer und ab/ nach September 1989 war dann könnte es die damals neue „Lucky’s Luke “ gewesen sein die auch immer wieder Konzerte organisiert. Ob das damals der Fall war ist mir jedoch leider nicht bekannt. Ich bin damals erst im Oktober aus Bayern wieder zurück nach Trier gezogen. Ansonsten würde ich auf das Exhaus und dort im Keller das Exil tippen , falls man eine Treppe runtermusste und dort dann rechts abbiegen um in den Veranstaltungsraum zu kommen. Dort wiederum rechts war dann die Schanke wo man Getränke kaufen konnte während ein paar Meter weiter vorne die Bühne war. In der „Luke“ (wie man sie nur nennt) war die Bar getrennt durch eine Tür . Aber ob das ’89 schon so war…jedenfalls sehr interessant das er bereits in Trier aufgetreten ist als es noch zwei Deutschlands gab

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