1965-1969

Einige Notizen an mich selbst, damit ich sie nicht vergesse.

1965. Davon weiß ich nichts mehr. Obwohl es sein könnte, dass mir das Ausspucken des Schnullers große Freude machte. Mama sagt, ich konnte schon mit zehn Monaten gehen (oder laufen) ohne hinzufallen.

1966. Ein Kinderbett mit hölzernen Streben und Geländer, damit ich drin bleibe, wenn es sein muss. Ein grauer Wandteppich mit Pilzen, Zwergen und Fransen dran.

1967. Mit zwei Jahren brachte ich den Stunt, auf den Stuhl zu krabbeln, von da aus auf den Tisch und von da aus aufs Fensterbrett und weil das Fenster gerade offen war, auch nach draußen und probierte mal aus, wie das aussieht, wenn man von draußen aus rein schaut. Immerhin erste Etage. Das Vergnügen dauerte aber nicht lange, weil die Nachbarn das sahen und die Polizei riefen und außerdem fiel es Mutti auf, die dann nach mir griff und mich wieder reinzog.

1968. Wir wohnten zu Dritt in einer Ein-Zimmer-Wohnung in einer kleinen Wohnstraße, in der immer noch nicht alle Häuser seit Kriegsende aufgebaut waren. Unseres hatte sechs kleine Wohnungen und gehörte zwei Schwestern meiner Oma, die gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter im Keller des Nachbarhauses starb. Das war 1944, als die Bomben hagelten. Das Nachbarhaus stand immer noch nicht und so spielte ich auf dem Sand der Baulücke über diesen Kellern, ohne das von Oma zu wissen.

Die Eingangstür unseres Hauses hatte einen beschlagenen Absatz, wo das Fenster eingesetzt war. Um überhaupt an die Klingel unserer Wohnung zu kommen, musste ich mich mit einem Fuß auf den Absatz stellen, mit einer Hand am Türknauf festhalten und dann kam ich mit der anderen Hand an die Klingel.

Alle Häuser, die in unserer Straße wieder aufgebaut wurden, hatten höchstens drei Etagen. Erdgeschoss, Erste und Dachgeschoss. Hinter unserem Haus war ein kleiner Hof und daran angrenzend ein ehemaliger Stall fürs Vieh, der nach dem Krieg in eine kleine Wohnung umgebaut wurde, wenn auch mit Außenklo. In dieser Wohnung wohnte einst meine Mutter mit ihrer Zwillingsschwester, als sie zuhause raus mussten. Mit 14.

1969. Die Straße war so eng, dass die Autos nur versetzt parkten oder nur auf einer Seite, aber das war nicht störend und es gab ja auch kaum Autos, verglichen mit heute. Wenn wir auf der Straße spielten, weil die Spielzeugautos da besser ins Rollen kamen, mussten wir an einem ganzen Nachmittag nur ein oder zwei mal aufstehen. Die ganze Straße zählte sowieso nur fünfzehn Häuser auf jeder Seite. Nebenan gab es eine noch kleinere Parallelstraße, die sogar so eng war, dass die Gehwege fehlten.

Ich konnte den Nachbarn gegenüber ins Wohnzimmer sehen. Ich sah den Wohnzimmertisch und das Bild an der Wand, die kleine Kommode und die Schirmlampe, die ein fades Licht auf die Couch und den Tisch und die Sessel warf. Alle unsere Nachbarn hatten diese weißen Gardinen mit den gehäkelten Spitzen, aber in meiner Erinnerung waren die meist zurückgezogen und man konnte sogar sehen, welcher Nachbar einen Fernseher in seiner Stube hatte. Die von gegenüber hatten einen. Es war ein riesiger Kasten. So wie der von meiner Großtante, der das Haus mit ihrer Schwester gehörte.

Wir selbst hatten keinen. Die Glotze meiner Großtante brauchte eine Ewigkeit, wenn man sie anschaltete. Drei bis vier Minuten musste man schon warten und zuerst kam der Ton und viel später erst das Bild. Ich wusste das nur, weil wir manchmal bei der Großtante zum Fernsehen waren und als der Sommer 69 kam, wurde ich mitten in der Nacht geweckt und ich starrte auf dem Boden sitzend in ein graues, grieselndes Nichts. Wenn das die erste Mondlandung sein sollte, dachte ich, dann ist sie nicht sehr spannend.

Wir hatten auch kein Telefon. Es gab erst nur ein einziges Telefon im Haus und später hatten beide meiner Großtanten eins. Wenn uns jemand sprechen wollte, musste erst jemand im Hausflur rufen. Oder im Erdgeschoss die Klingel drücken. Dann ging man zum Telefonieren in die Wohnung mit Telefon.

Ganz oben an der Ecke fehlten zwei weitere Häuser und dort wurde ein höheres Haus gebaut und als ich so um Vier war, spielte ich in der Baustelle oder lief über die Begrenzungsmauern, weil das spannender war als in der Baulücke neben unserem Haus. Gegenüber vom Neubau war ein merkwürdig kleines Gebäude, das so klein war, dass es eher einer ausgebauten Garage glich und in diesem Hexenhäuschen wohnte die Oma meines besten Freunds.

Nebenan eine typische Trinkhalle der 60er, wo es neben Bier und Schnaps und Eis auch Zigaretten und Süßigkeiten gab. Auf dem Reklameschild der Bude stand ASS Kirkel, was damals ein bekannter Limonadenhersteller war und mancher meiner Nachmittage begann damit, dass ich mir eine kühle Flasche voll leckerer ASS Orangenlimo ansetzte und schmecken ließ. Manchmal standen alte Männer davor. Sie rauchten, tranken Bier und sagten Dinge, die ich nicht verstand. Aber es sprang eben auch manchmal eine ASS raus, wenn ich dort vorbeischaute.

In der Mitte der Straße gab es so was wie einen Wohzimmerladen. Das war damals gar nichts Ungewöhnliches und rührte auch noch von den Notzeiten nach dem Krieg. Es hing ein Schild mit ein paar Preisen am Erdgeschossfenster und wenn man klopfte, öffnete eine Frau und reichte uns raus, was wir haben wollten: Meistens Eis und Süßigkeiten, aber sie verkaufte auch andere Dinge des Haushalts, Eier, Senf, Marmelade und solche Sachen. An diesem Haus gab es auch einen Zigarettenautomaten, an dem nur fünf Schubladen waren und an dem man Packungen mit zehn Zigaretten zu einer Mark kaufen konnte. Die modernste Marke war Stuyvesant, außerdem HB, Lasso und Ernte 23. Die fünfte weiß ich nicht mehr.

Weiter unten in der Straße, ganz unten an der Ecke, gab es zwei weitere Läden: Beide hätten schon zusammen den kleinsten Supermarkt der Welt ergeben, aber es waren tatsächlich zwei getrennte Läden: Eine winzige Metzgerei und eine winzige Bäckerei. So klein, dass die Theke die Hälfte des Raums einnahm. Später wurde daraus tatsächlich ein gemeinsamer „Tante Emma“, wo man durch die Tür rechts reinging und durch die Tür links wieder raus. Wenn ich Taschengeld hatte, kaufte ich mir dort Lakritzschlangen zu fünf Pfennig.

In unsere Ein-Zimmer-Wohnung kam auch manchmal Besuch. Dann saßen drei oder vier bärtige Männer um den Küchentisch und einer davon konnte Maultrommel spielen, was ich wahnsinnig spannend fand. So sehr ich mich auch mühte, kriegte ich nie selbst auch nur einen Ton damit raus. Aber irgendwer brachte mir immer was mit, meistens ein neues Auto für meine Spielzeugsammlung und insofern freute ich mich immer auf den Besuch.

Ich erinnere mich auch an die Treppenstufen, die in den Keller führten, wo es immer nach Seifenlauge roch, weil da eine klassische Waschküche war. Es gab sogar noch einen runden Waschkessel aus Stein, das war ein richtiger Beton-Ofen mit einem riesigen Metalldeckel. Ich musste mich auf einen Hocker stellen, um reinzusehen. Zwar wurde der Ofen nicht mehr befeuert, aber ich erinnere mich an die dunkelblaue Emaille und drin gewaschen wurde schon noch was. Jetzt stand aber auch eine Waschmaschine dort unten und ständig hing Wäsche an den gespannten Leinen.

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